Die amerikanische Autorin Christine Seifert hat mit “Profile: Die Prognose” einen Roman geschrieben, der sich der spannenden Frage stellt: was wäre, wenn ein Programm berechnen könnte, welche Person zum nächsten Straftäter werden wird? Vor dem Hintergrund eines Amoklaufs erzählt die Autorin die Geschichte eines jungen Mädchens, deren Schule zur Testschule geworden ist. Interessant, aber mit erzählerischen Schwächen. Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.
Oklahoma. Die 16-jährige Daphne ist mal wieder die Neue an der Schule. Schon die neunte Schule: nach zig Umzügen mit ihrer Mutter, einer Neurowissenschaftlerin, hat sie Erfahrung mit dem Eingewöhnen. Doch an der Quiet High erwartet sie plötzlich etwas völlig Ungewöhnliches: sie gerät mitten in einen Amoklauf hinein! Glücklicherweise befindet sie sich gerade in einem fensterlosen Nebenraum des Chemielabors, als der Täter den Raum stürmt. “Meine Angst wächst, weil ich nicht sehen kann, was alle sehen können. Wäre es nicht besser, wenn ich die Augen des Amokläufers sehen könnte, den Lauf der Waffe, die Angst in den Augen des Mädchens, das so laut schreit, das ich meine eigenen Gedanken nicht mehr höre?” (Zitat aus “Profile: Die Prognose”, S.18). Jesse, ein Mitschüler, der vor der Türe steht, bittet sie inständig im Raum zu bleiben. Bis er schließlich zu ihr hereinkommt, in der Hoffnung, dass der Amokläufer sie nicht bemerkt. Doch das tut er. Jesse bringt Daphne dazu sich in einen kleinen Schrank hineinzuzwängen. Dann verbarrikadiert er die Türe. Aber dem Täter gelingt es diese aufzubrechen. Ehe er jedoch handeln kann, schlägt Jesse ihn mit einem Regalbrett nieder. Im Anschluss erschießt der Amokläufer nicht Jesse, sondern sich selbst. Der Schock an der Schule ist groß, aber es wurde niemand getötet. Als Daphne schließlich wieder den Unterricht besucht, ist sie nicht nur “das Mädchen, das sich in einem Schrank versteckte”, sondern auch bald in eine der In-Cliquen integriert, findet in Dizzy eine neue Freundin und verliebt sich in Jesse. Und sie erfährt von “Profile”, einem Testprogramm, das “die Ergebnisse verschiedener anerkannter Test zusammen [fasst], wie zum Beispiel Persönlichkeitsfragebögen, IQ-Tests und psychologische Untersuchungen. PROFILE sammelt diese Ergebnisse und vergleicht sie mit detaillierten Analysen der kognitiven und neurokognitiven Systeme des Gehirns. Anschließend berechnet PROFILE aufgrund dieser Ergebnisse unter Verwendung eines komplexen mathematischen Algorithmus einen Vorhersagewert. Dieser Wert gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein Individuum in Zukunft ein Verbrechen begehen, ein Suchtverhalten entwickeln und/oder sozial auffälliges Verhalten zeigen wird.” (Zitat S.61). Bisher wurden die Test noch nicht veröffentlicht. Aber genau das wird sich bald ändern…
“Profile: Die Prognose” wird aus Daphnes Sicht in der Ich-Perspektive erzählt. Das Buch, das mit einem rätselhaften Prolog beginnt, ist in drei Teile geteilt: “Getrennt”, “Zusammen” und “Einer von ihnen”. Schon nach wenigen Seiten katapultiert die Autorin den Leser mitten in das Geschehen des Amoklaufs und lässt rasch Spannung entstehen. Man fiebert förmlich mit der Protagonistin mit und kann sich auch rasch in sie einfühlen. Der Roman ist insgesamt gesehen flüssig zu lesen, verliert jedoch im Mittelteil des Buches ziemlich an Tempo. Zu schnell wird, meinem Gefühl nach, nach dem Amoklauf wieder zur Tagesordnung übergegangen, auch das zentrale Thema der ausstehenden Prognose wird im Mittelteil des Romans etwas in den Hintergrund gedrängt. Besonders das zickige Cliquengehabe und Daphnes Verliebtheit in Jesse werden hier sehr stark thematisiert. Das wirkt teilweise etwas langatmig und nutzt das Potential des wirklich interessanten Plots nicht vollständig aus. Das Cover ist sehr ansprechend gestaltet, hier greifen sogar eher Jungs zum Buch, wobei inhaltlich gesehen durch die weibliche Perspektive wohl eher Mädchen angesprochen werden. Gut gefallen haben mir die einleitenden Zitate vor jedem Kapitel, die von unterschiedlichen Schülern stammen und interessante Andeutungen über den Verlauf des Buches geben. Die Grundfrage von “Profile: Die Prognose” lässt auch den Leser nachdenklich stimmen: Abgesehen davon, dass es möglich ist, dass ein Mensch eine “Prognose” erhalten kann, ist man wirklich “Opfer” seiner Gene und seiner sozialen Entwicklung? Und vor allem kann jemand, der eine Prognose erhalten hat, seiner Entwicklung entgegensteuern? Leider hat mich das Ende auch nicht wirklich überzeugt. Die Spannung, die zu Beginn bereits die Erwartungen hochsetzte, wird nicht mehr erreicht, die Geschichte kratzt für mich nur an der Oberfläche angesichts dessen, was hier möglich gewesen wäre. Aber am besten selbst lesen und eine eigene Meinung bilden!
Eine hervorragende ethische Auseinandersetzung zu dem Thema “Gut oder böse?” liefert “Die Liga der Guten” von Rüdiger Bertram. Ein besonderes “Programm” an einer Schule findet sich auch in dem berührenden Roman “Du. Wirst. Vergessen.” von Suzanne Young. Wenn du noch andere Bücher über einen Amoklauf lesen möchtest, dann schau dir folgende Titel an: “Die Schüler von Winnenden” von Daniel O. Bachmann, “Klassenziel” von T.A. Wegberg, “Alessas Schuld” von Brigitte Blobel oder “Nach dem Amok” von Myriam Keil. Eine gute Lesealternative ist ebenfalls “Nur eine Liste” von Siobhan Vivian: In diesem Roman verändert die Veröffentlichung einer Liste (wenn auch vor einem anderen Hintergrund) den kompletten Alltag von acht Schülerinnen.
Bibliografische Angaben:Verlag: Fischer ISBN: 978-3-8414-2150-0 Erscheinungsdatum: 20.August 2015 Einbandart: Broschur Preis: 14,99€ Seitenzahl: 384 Übersetzer: Maria Poets Originaltitel: "The Predicteds" Originalverlag: Sourcebooks Amerikanisches Originalcover:
Christine Seifert liest aus ihrem Buch (englisch):
Kasimiras Bewertung:
(3 von 5 möglichen Punkten)
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