“Und dann weiß jeder, was ihr getan habt” von dem deutschen Autoren Christian Linker ist ein Thriller über ein Mädchen, das einen heimtückischen Plan verfolgt, als sie vier Mitschüler unter einem Vorwand zu sich nach Hause einlädt. Mit Hilfe einer versteckten Kamera, die live ins Internet streamt, will sie einen der Jugendlichen, der für das Verschwinden einer Mitschülerin verantwortlich sein soll, zu einem Geständnis zwingen. Eine Geschichte über Schuld, Rache und eine Situation, die bald zu eskalieren droht. Ein Kammerspiel der besonderen Art. Intensiv, bewegend und mitreißend. Für Jugendliche ab 14 Jahren und interessierte Erwachsene.
Ganz plötzlich reifte dieser Plan in ihr. Kurz vor der Abifeier. Bevor all ihre Wege auseinandergehen. Denn Muriel ist im Filmteam gelandet, in dem die besten Sequenzen von acht gemeinsamen Schuljahren zusammengeschnitten werden sollen. Eigentlich hat sie — die erst in der 9.Klasse in dieser Schule dazustieß — überhaupt keinen Bock auf so etwas. Doch dann kam ihr eine plötzliche Vision: “Wie wir über die Studienreise an die Ostsee sprechen. Und über Precious, die plötzlich nicht mehr da war. Wie ich Constantin aus der Reserve locke, die Sache zuspitze und eine Eskalation provoziere, bis es irgendwie aus ihm herausbricht. Vielleicht, weil er sich verplappert. Oder weil er mit seiner Lüge nicht mehr länger leben will, was weiß ich. In Fernsehfilmen klappt so was auch. Warum also nicht in meinem Film?” (Zitat aus “Und dann weiß jeder, was ihr getan habt” S.24) Muriel ist davon überzeugt, dass ihr beliebter Mitschüler Constantin für das Verschwinden von Precious verantwortlich ist. Dass er eine Mitschuld daran trägt, dass man die Jacke der aus Nigeria geflüchteten Mitschülerin vor über einem halben Jahr im Meer treibend fand und von ihr bisher jede Spur fehlt. Man fand lediglich einen Zettel in ihrer Jackentasche, auf dem “The rest is silence” stand. Die Polizei hat die Suche nach ihr schließlich eingestellt. Sie wurde nicht für tot erklärt, sondern lediglich als vermisst gemeldet. “Niemand glaubt mir, dass Constantin an Precious’ Selbstmord schuld ist. Die meisten
bezweifeln, dass sie überhaupt tot ist — und wenn doch, so sagen sie, könnte es doch ein Unfall gewesen sein. Erst recht glaubt niemand, dass es irgendeine Verbindung zu Constantin gibt. Ich könnte es ja erklären, wenn mir irgendjemand in Ruhe zuhören würde. Aber niemand tut das.” (Zitat S.15) Deshalb hat Muriel die Zügel nun selbst in die Hand genommen. Die schnippische und gegen alles rebellierende Schulsprecherin Özge meldet sich als Moderatorin im Filmteam, um die einzelnen Sequenzen zu kommentieren. Und Muriel schlägt eine Doppelmoderation vor, mit männlichem Gegenpart, zu der schließlich Constantin genommen wird. “Dass ausgerechnet Özge die andere Hälfte ist, war Zufall, kommt mir aber sehr entgegen. Denn wenn ich nicht ganz danebenliege, hat auch sie einen Anteil an Precious’ Tod.” (Zitat S.25) Dann ist noch Lennardt, der übergewichtige Klassenclown und Kumpeltyp mit dabei. Und
Dalia, Constantins Freundin und “passionierte Fleißkärtchensammlerin” (Zitat S.25), die die Moderatorentexte schreiben wird. Dann kommt der alles entscheidende Tag, als Muriel die vier Jugendlichen zu sich nach Hause einlädt. Denn neben der offensichtlichen Kamera im Hightech-Kinoraum ihres Vaters hat sie auch eine weitere, geheime Kamera in dem Zimmer angebracht. Eine, die alles, was gesprochen wird, direkt ins Internet streamt. Aber als die Lage sich mehr und mehr zuspitzt, kommen immer mehr ungeahnte Dinge ans Tageslicht und Muriel merkt rasch, dass ihr Plan völlig außer Kontrolle gerät…
Auffällig sticht das Cover von “Und dann weiß jeder, was ihr getan habt” hervor. Mit einer grell leuchtenden Schrift macht es auf sich aufmerksam. Und leider auch mit einem Rechtschreibfehler (“weiss” statt “weiß”), was wahrscheinlich der grafischen Gestaltung geschuldet ist, aber dennoch nicht unbedingt Vorbildfunktion für eine tadellose Orthografie ist;-) Der Thriller wird in sieben Teilen erzählt und ist aus den unterschiedlichen Sichtweisen der fünf Schüler in der jeweiligen Ich-Perspektive geschrieben. Jeder Abschnitt wird — schön übersichtlich — mit dem Namen der berichtenden Person betitelt. Am Anfang hatte ich ein wenig Schwierigkeiten in die Geschichte hineinzufinden: Muriel, die den größten Anteil der Perspektiven für sich bezieht, wirkt eher unsympathisch. Sie schreibt Gedichte und hält sich selbst für gestört (“Er hält mich nämlich nicht nur für gestört (was ich ja auch ohne Frage bin), sondern auch für restlos unbegabt, was Technik…” (Zitat S.13)), wird auch von anderen als nicht normal angesehen und hat keinerlei Freunde. Bis auf Precious, der sie etwas nä
her kam, wenngleich diese — aufgrund ihrer Vorgeschichte — auch auf keine “klassische” Freundschaft aus war. Zuweilen war mir ihr Erzählstil etwas zu hochgestochen und mit zu viel Pathos versehen: “Das Schicksal von Abertausenden liegt im Dunkeln; in der ewigen Nacht am Grunde der See, wo die zerfressenen Reste ihrer Leichen zergehen. Niemand will dafür verantwortlich sein. Aber Precious starb auf dem falschen Meer. Und der, der an ihrem Tod schuld ist, trägt einen Namen.” (Zitat S.8) Jedoch legt sich dies glücklicherweise recht bald und man findet mehr Einblick in ihren Charakter, bemerkt auch, dass sie mit ihrem Plan zeitweilen ins Wanken gerät und nicht nur so mitleidslos ist, wie sie zu Beginn dargestellt wird: “…ich weiß schon selbst, dass meine Idee skrupellos ist. Vielleicht sogar grausam. Aber notwendig. Schon immer hatten die Menschen das Bedürfnis, dann und wann jemanden öffentlich abzuschlachten. Die Römer veranstalteten Gladiatorenspiele und
Kreuzigungen, im Mittelalter verbrannte man Ketzer auf dem Scheiterhaufen und flocht Verräter aufs Rad. Heute haben wir das Internet. Und ich werde es benutzen.” (Zitat S.9) Die abwechselnden Erzählperspektiven bieten ein faszinierendes Geflecht aus oberflächlichen und tiefgründigen Gesprächen, aus zum Teil sogar gesellschaftlichen und politischen Themen, aus Vergangenheit und Zukunft der Schüler und immer wieder — im Mittelpunkt — die Suche nach der Wahrheit. Was ist jener Nacht geschehen? Wie ist Precious gestorben? Und welchen Anteil haben ihre Mitschüler daran? Die Sprache des Buches ist sehr authentisch und oft auch recht jugendsprachlich. Schön gemacht ist die Abgrenzung der einzelnen Personen voneinander. Constantin erzählt beispielsweise in eingerückten, recht kurzen Zeilen. Und Lennardt hat einen ganz eigenen abkürzenden Sprachstil: “Ich lass grad den Film laufen, den Nina Friedrichs von der Führung durch irgend so 1 Fischereimuseum gemacht hat. Die 2 Ladys gucken zu: Muriel iwie abweisend & Özge mehr so voll genervt.” (Zitat S.51) Das Ende liest sich sehr ergreifend und macht nachdenklich.
Fazit: Ein flott erzählter Thriller mit Tiefgang.
Dir gefällt der Erzählstil von “Und dann weiß jeder, was ihr getan habt”? Dann lies doch noch die anderen Bücher von Christian Linker, der einiges bisher geschrieben hat: “RaumZeit” (2002), “Das Heldenprojekt” (2005), “DoppelPoker” (2007), “Blitzlichtgewitter” (2008), “Absolut am Limit” (2010), “Stadt der Wölfe” (2015), “Dschihad Calling” (2015), “Der Schuss” (2017), “Scriptkid: Erpresst im Darknet” (2018). Eine sehr gute Alternative über Jugendliche, die alle voreinander etwas zu verbergen haben, ist “One of us is lying” von Karen M. McManus oder lies die Novität “Niemalswelt” von Marisha Pessl, in der jeder der Hauptpersonen ein Geheimnis hat. Oder greif zu “Matchbox Boy” von Alice Gabathuler, ein wirklich super spannender Psychothriller über dunkle Geheimnisse, menschliche Sensationsgier und die gefährliche Macht des Internets. Oder lies “Cold Calls” von Charles Benoit, das in eine ähnliche Richtung geht.
Bibliografische Angaben:Verlag: dtv ISBN: 978-3-423-74042-5 Erscheinungsdatum: 31.Januar 2019 Einbandart: Broschur Preis: 14,95€ Seitenzahl: 256 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
Kasimiras Bewertung:
(4 von 5 möglichen Punkten)