“Watched: Du sollst nicht lügen” von der deutschen Autorin Chris Kaspar ist ein Thriller, der es in sich hat — er nimmt die sieben Todsünden als Mittel für eine fesselnde Geschichte. Ein junges Mädchen, das von der Gesellschaft geächtet wird, weil sie am Tod eines Jungen schuld ist und nun von einem Unbekannten sieben Aufgaben erhält, die den sieben Todsünden entsprechen. Wenn sie diese nicht ausführt, wird jemand zu Schaden kommen. Ein packendes, mit einer besonderen sarkastischen Note erzähltes Buch über dunkle Geheimnisse, Schuld und ein perfides Spiel, das mit der Protagonistin getrieben wird. Für Jugendliche ab 14 und Erwachsene, die raffiniert erzählte Thriller lieben.
Die 17-jährige Rena ist schuld an Joes Tod. Joe, mit dem sie zusammen war. “Joe war beliebt, keine Frage. Kapitän der Schwimmmannschaft, nicht auf den Kopf gefallen und absoluter Mädchenschwarm. Aber das ist nicht der Hauptgrund, warum jeder ihn mag… mochte, verdammt! — sondern, dass er einfach nett war.” (Zitat aus “Watched: Du sollst nicht lügen” S.11) Jetzt wird sie von allen gehasst. Ihre Social-Media-Accounts schaut sie sich nicht mehr an. “Damit ich das Schlachtfeld in den Kommentaren unter meinen Bildern nicht sehe.” (Zitat S.12) Ihre Freundinnen sind nicht mehr ihre Freundinnen. Doch dann spielt ihr ein Unbekannter, der sich Lucifer nennt, ein Handy zu. Ein Handy, auf dem immer mehr Nachrichten eintrudeln. Lucifer will sie fertig machen. “Die Anklage lautet: Verstöße gegen 2 Gebote. Du sollst nicht töten. Du sollst nichts Falsches gegen deinen Nächsten aussagen. […] Aber die Leute dürfen nicht weiter auf deine Lügenmärchen reinfallen. Sie müssen erfahren, wie böse du wirklich bist. Einmal Sünderin, immer Sünderin. Einmal Lügnerin immer Lügnerin. Sieben Todsünden. Eine Entscheidung! Bist du bereit es mit allen sieben aufzunehmen?” (Zitat S.39ff) Lucifer scheint es ernst zu meinen. Als Rena das Handy ausstellt, ist ihre Schwester auf einmal verschwunden. Taucht verletzt wieder auf. Sie muss sich an die Regeln halten. Seine perfiden Aufgaben erfüllen, sonst passiert etwas Schlimmes. Aber auch wenn Rena auf sein Spiel einsteigt und immer mehr zur Außenseiterin und Ausgestoßenen wird, gibt sie nicht auf, herauszufinden, wer hinter all dem steckt…
Knallig und doch irgendwie düster, so wirkt das Cover von “Watched: Du sollst nicht lügen”. Die Grundidee mit den sieben Todsünden fand ich sehr gelungen. Hierzu gibt es im Jugendbuch bis nur wenige Alternativen (siehe unten). Der Thriller wird hauptsächlich aus Renas Sicht in der Ich-Perspektive erzählt. Sie ist eher spröder, kantiger Charakter, hat sich in der Vergangenheit nicht besonders vorbildlich verhalten hat, konnte eifersüchtig und bestimmend sein. Faszinierend ist vor allem, wie sie immer wieder ihre Gedankengänge abbildet, eine Art zweites Ich, das sie “die Besserwisserin” nennt, das alles, was sie tut negativ und äußerst fies kommentiert: “Wenn Augenringe der neue Look wären, hättest du heute den Styling-Jackpot geknackt. Wie immer in den letzten 48 Tagen, 10 Stunden und 18 Minuten sitzt die Besserwisserin kichernd auf dem Lügenberg, der seit ihrem Einzug stetig wächst.” (Zitat S.22) Zuerst ist dies etwas befremdlich, passt dann aber doch sehr gut zur Geschichte und ist fast erfrischend anders. Eine weitere gelegentliche Perspektive ist ebenfalls sehr außergewöhnlich. Denn es erzählt tatsächlich der tote
Joe seine Sicht der Dinge, während er auf den Einlass in die Himmelspforten wartet, und zwar dem Himmelswärter, der ihn aus irgendeinem Grund noch nicht eintreten lassen will. In einem gut ineinanderpassenden Geflecht von sich abwechselnden Perspektiven entsteht ein immer klareres Bild über die Zusammenhänger. Denn Chris Kaspar hält den Spannungsbogen hoch und verrät nicht allzu viel. Wie Joe gestorben ist, was zwischen den Freundinnen, die sich nun gegenseitig hassen, vorgefallen ist, all das wird dem Leser lange Zeit verschwiegen. “Jetzt ist Tilli eine Fremde für mich. Und ich bin eine Fremde für sie. Das, was früher mal tiefe Freundschaft war, ist in Hass umgeschlagen. Nur weiß ich nicht genau, wer von uns beiden die andere mehr hasst.” (Zitat S.10) Rätsel über Rätsel, Geheimnis um Geheimnis, das gelüftet werden muss. Noch dazu die unheilvolle und letzte Perspektive, die für eine Menge Aufregung sorgt — die des Unbekannten selbst: Lucifer: “Bald erfahren alle die Wahrheit über sie, denn Lucifers Gericht ist gnadenlos. So etwas wie Vergebung existiert bei ihm nicht. Sein Zorn ist unermesslich, und seine Rache wird grausam sein.” (
Zitat S.15) Wer steckt hinter all dem? Was ist in der Vergangenheit vorgefallen? Und vor allem was wird am Ende sein? Wenn sie alle sieben Aufgaben erfüllt, alle sieben Todsünden überstanden hat? Was wird das aus ihr gemacht haben? Denn das Lucifer sie am Boden sehen und komplett zerstören will, das ist offensichtlich: “Am liebsten würde Lucifer sie anschreien. Sie packen. Schütteln. Ihr Schmerzen zufügen. Aber das darf er nicht. Noch nicht. Er hat einen Plan. Er muss dafür sorgen, dass die Leute in diesem Provinznest nicht vergessen, was dieses dumme Mädchen getan hat. Und wozu es fähig ist.” (Zitat S.15) Die Sprache von Chris Kaspar ist sehr flüssig. An manchen Stellen mit einigen Metaphern gespickt, die ein tolles Bild im Kopf entstehen lassen: “Die Waldlichtung mitsamt der Kapelle hätte eine perfekte Vorlage für eins von Kinkades Gemälden abgegeben. Zu idyllisch. Zu kitschig. Zu perfekt. Too much von allem. Zumindest früher, bevor die uralte Eiche daraufgekippt ist wie ein betrunkener Riese auf eine Parkbank.” (Zitat S.80) Beim Ende muss man ordentlich mitdenken, wenn sich alles auflöst. Manches hab ich tatsächlich noch ein zweites Mal lesen müssen, um die Zusammenhänge besser einzuordnen. Aber sehr raffiniert gemacht!
Freue dich bald auf etwas Neues von Chris Kaspar: “Pride & Pretty: Einen Tod musst du sterben”, dieses erscheint Anfang April 2022. Im Jugendbuch gibt es kaum Titel, in denen die 7 Todsünden eine Rolle spielen. Lies hierzu die “Seven Sin”-Reihe von Lana Rotaru oder — was sehr spannend ist: “Saligia: Spiel der Todsünden” von Swantje Oppermann. Oder “Die 7 Todsünden” von Stephan Sigg, eine Sammlung von 7 Kurzgeschichten über die Todsünden — ein sehr lesenswertes Buch. Als Alternative zu “Watched: Du sollst nicht lügen” könnte ich mir auch “Nerve: Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen” von Jeanne Ryan vorstellen. Ein Spiel, das alles verändert? Das findest du in “Erebos” und “Erebos2” von Ursula Poznanski, in “Panic: Wer Angst hat, ist raus!” von Lauren Oliver und in dem schon etwas älteren “Gotcha!” von Shelley Hrdlitschka. Zwei wirklich überzeugende Empfehlungen sind auch “Secret Game” von Stefanie Hasse und “Matchbox Boy” von Alice Gabathuler (Geheimtipp!). Rache spielt zudem in “Spiel des Lebens” von Veit Etzold eine Rolle. Rätsel lösen, sonst passiert (seinem Vater) etwas, das muss auch die Hauptfigur in “Crazy Games” von Mirjam Mous. Ebenso heftig und voller Nervenkitzel ist “Wonderland” von Christina Stein.
Bibliografische Angaben:Verlag: Moon Notes ISBN: 978-396976-013-0 Erscheinungsdatum: 8.Oktober 2021 Einbandart: Broschur Preis: 15,00€ Seitenzahl: 338 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
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