“Cold Calls” von dem amerikanische Autor Charles Benoit ist nach seinem ersten (unabhängigen) Buch “Du bist dran!” wieder ein Roman über das Thema Manipulation und vor allem über Mobbing, jedoch mit einem ganz anderen Ansatz: Hier werden die drei Protagonisten dazu gezwungen zu mobben, um zu verhindern, dass ein anonymer Anrufer ihre größten Geheimnisse verrät. Flott und unterhaltsam erzählt. Mit nicht all zu viel Tiefgang. Für Jugendliche ab 13 Jahren.
Eric, der ein begeisterter Fußballspieler ist, glaubt zunächst an einen Scherz, als ein seltsamer, metallisch klingender Anrufer ihn belästigt: “In dem Rauschen ertönte ein leises Echo, als er sich selbst hörte. Eine Pause, dann folgte etwas wie ein Atemzug. Danach ein einzelner geflüsterter Satz, der ihn wie ein Schlag in den Magen traf. Und wieder Schweigen.” (Zitat aus “Cold Calls” S.9) In der Nacht wieder mehrmalige Anrufe auf seinem Handy. Bis Eric schließlich rangeht und der anonyme Anrufer nur verlangt, dass er in sein E‑Mailpostfach sieht. Dort befindet sich ein merkwürdiges Foto. Es dauert eine Weile bis der Junge begreift, das diese Detailaufnahme aus seinem Haus stammt. Jemand war in seinem Zimmer und hat ihm dann dieses Foto geschickt! Wer erlaubt sich solch einen Scherz mit ihm? Einer seiner Freunde? Das kann er nicht glauben… Nach einiger Zeit erhält er wieder Anrufe: “Ruf nicht wieder an!”, verlangte er, “Sonst gehe ich zur Polizei. Ich habe Beweise, dass du in mein Haus eingebrochen bist…” “Du vergisst etwas”, meinte der Anrufer. “Ja? Was denn?” Das Rauschen verklang, was die geflüsterten Worte laut und deutlich machte. “Ich kenne dein Geheimnis.” (Zitat S.24) Und das scheint der anonyme Fremde tatsächlich zu kennen, wie Eric kurz darauf auf einem Foto in seinem Postfach zweifellos erkennen kann: “Oh scheiße”, murmelte er. Niemand war in der Nähe, der sah, wie sein Gesicht alle Farbe verlor.” (Zitat S.25) Ebenso ergeht es der jungen Shelly, der klar wird, dass es da jemanden gibt, der ihr dunkles Geheimnis kennt: “Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wer es war und wie derjenige es herausgefunden hatte. Noch nicht. Aber jemand wusste es. Und sie musste ihn finden.” (Zitat S.26) Doch zunächst einmal muss sie tun, was der Anrufer verlangt. Er stellt ihr Aufgaben. Sie soll ein Mädchen mobben. Drei Aufgaben. Und ein großes Finale. Auch Eric wird dazu genötigt, einen anderen ihm unbekannten Mitschüler zu schikanieren. Besonders die letzte Aufgabe hat es in sich. Nun müsste der Anrufer ihn doch endlich in Ruhe lassen, oder? In einem Anti-Mobbing-Kurs, trifft Eric auf Shelly und auf Fatima, denen das gleiche Schicksal widerfahren ist, was sie durch Zufall herausfinden. Gemeinsam versuchen sie den Unbekannten zu stoppen, ehe ihre Geheimnisse an die Öffentlichkeit geraten…
“Cold Calls” wird in mehreren Kapiteln und aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Zunächst kommt hauptsächlich Eric zu Wort. Später folgt dann Shellys Perspektive, die sich mit Erics wiederum abwechselt, auch innerhalb eines Kapitels. Erst im letzten Teil des Buches wird auch Fatimas Sicht geschildert. Der Erzählstil ist sehr flüssig, die Sätze recht kurz und geradlinig. Temporeich rast der Leser durch die Geschichte, die immer wieder durch inhaltliche Lücken glänzt. Charles Benoit scheint Meister darin zu sein, Elemente auszulassen oder zu umschreiben. So wird nicht erwähnt, was für ein geflüsterter Satz Eric beim ersten Telefonat so aus der Fassung bringt, was auf dem zweiten Foto zu sehen ist oder was Shelley zu ihrem Mobbingopfer sagt: “Es waren nur Worte, hatte sie sich gesagt. Heutzutage konnten Worte niemanden mehr verletzen. Aber sie kannte die Wahrheit und klammerte sich an die Lüge, denn nur so konnte sie es durchstehen. Und dann war es vorbei, das Schluchzen des Mädchens verklang in der Ferne.” (Zitat S.31) Das kann Spannung erzeugen und für eine gewisse
Dramatik sorgen, manchmal aber auch ein wenig nerven, da besonders zu Beginn manche Dinge auch in Rückblenden nicht mehr erklärt werden, die für den Leser interessant sein könnten. Die Charaktere bleiben eher etwas flach, aber darauf ruht auch nicht das Hauptaugenmerk der Geschichte. Es ist eher die Sensationslust des Lesers, die befriedigt werden möchte: was sind das für Geheimnisse, die die drei Jugendlichen verbergen? Und wie wird es ihnen gelingen, den Täter zu stoppen? Letzteres liest sich gegen Ende sehr dramatisch. Ein kurzer Epilog verleiht dem Buch einen schönen, interessanten Ausklang.
Fazit: Nette, kurzweilige Unterhaltung, aber sehr an der Oberfläche geblieben, angesichts des brisanten Themas. Für Jungs, die wenig lesen ideal!
Wenn dir “Cold Calls” gefallen hat, dann lies doch noch das andere Buch von Charles Benoit: “Du bist dran!”. Eine inhaltlich sehr gute Alternative ist “Matchbox Boy” von Alice Gabathuler. Hier droht ein Unbekannter ebenso die Geheimnisse dreier Mädchen zu verraten. Jedoch geht er noch eine Stufe weiter: Er lässt jedoch eine Online-Community darüber abstimmen, welches Geheimnis als Erstes verraten werden soll und verrät sie nach und nach tatsächlich. Megaspannend! Aufgaben erfüllen (hier geht es allerdings um Leben und Tod!), das müssen auch die Hauptfiguren in “Spiel des Lebens” von Veit Etzold und in “Crazy games” von Mirjam Mous.
Bibliografische Angaben:Verlag: cbt ISBN: 978-3-570-31008-3 Erscheinungsdatum: 8.März 2016 Einbandart: Taschenbuch Preis: 9,99€ Seitenzahl: 320 Übersetzer: Andreas Decker Originaltitel: "Cold calls" Originalverlag: Hougthon Mifflin Amerikanisches Originalcover:
Der Autor spricht über sein Buch: (auf Englisch) Amerikanischer Trailer:
Kasimiras Bewertung:
(3,5 von 5 möglichen Punkten)
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Amerikanisches Cover: Homepage von Houghton Mifflin
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