“Das tiefe Blau der Worte” von der australischen Autorin Cath Crowley ist nun neu als Taschenbuch erschienen. Der Adoleszenzroman stellt neben der Sehnsucht nach der Liebe und der Verarbeitung von Trauer auch die Literatur in den Vordergrund. Ein einfühlsam erzähltes Werk mit einer teilweise schön poetischen Sprache. Für Jugendliche ab 14 Jahren und interessierte Erwachsene.
Gracetown. Ein kleiner Vorort von Melbourne. In einem Brief hat Rachel Henry endlich ihre Liebe gestanden. Dem Jungen, den sie schon seit 10 Jahren kennt, ihren besten Freund nennt und der eine ständige On-Off-Beziehung mit einer anderen führt: “Ich lege diesen Brief zwischen die Seiten mit “J.Alfred Prufrocks Liebesgesang”, weil du das Gedicht liebst und weil ich dich liebe. Ich weiß, du bist mit Amy zusammen, aber scheiß drauf — sie liebt dich nicht, Henry. Sie liebt sich selbst, und zwar ziemlich. […] Morgen fahre ich. Bitte ruf mich an, wenn du das hier liest, egal wie spät es ist.” (Zitat aus “Das tiefe Blau der Worte S.9) Doch Henry, dem sie sogar einen Hinweis auf diesen Brief hinterließ, hat sich nicht bei ihr gemeldet. Er hat sich nicht einmal von ihr verabschiedet, als sie mit ihrer Familie nach Sea Ridge in das Haus ihrer Großmutter zog, die dringend Hilfe benötigte. Nun sind drei Jahre vergangen und seitdem ist viel passiert. Denn Rachels Bruder Cal ist gestorben. Er ist ertrunken. Seitdem kann Rachel ebenso wie ihre Mutter einfach nicht mehr schwimmen gehen. Und sie — die tolle Noten hatte und deren Leben schon bis ins kleinste Detail vorausgeplant war — fällt durch die Abschlussprüfung und schmeißt die Schule. “Deine Gran sagt, du isst nicht genug”, sagt sie [ihre Tante Rose] im Weitergehen. “Und sie sagt, du hast dich in einen Zombie verwandelt, der sich in seinem Zimmer versteckt, den ganzen Tag schläft und die Nächte mit seiner Mutter, die auch zu einem Zombie geworden ist, am Strand verbringt.” (Zitat S.60) Da Rachel nicht wirklich weiß, was sie mit ihrem Leben nun anfangen soll, hat ihre Tante Rose, die in Gracetown lebt, ihr einen Job in dem Krankenhaus, in dem sie selbst als Ärztin arbeitet, besorgt. “Laut unserer Familiengeschichte streiten Gran und Rose sich schon, seit Rose drei Jahre alt war, über alles und nichts. Gran findet, Rose flucht zu viel, arbeitet zu viel und kommt viel zu selten nach Hause. “Wenn sie dich zu mir geschickt hat, muss es wirklich schlimm sein.” (Zitat S.61) Rachel zieht also wieder zurück nach Gracetown. Zurück in ihren Heimatort. Zurück zu Henry. Den sie auf keinen Fall wiedersehen will. Doch dann platzt der Job im Krankenhaus und Rose hat ihr ausgerechnet in der Buchhandlung, die Henrys Familie gehört, eine Stelle besorgt…
Der Roman mit dem wirklich bildhübschen Cover wird in personaler Erzählweise sowohl aus Rachels, als auch Henrys Sicht erzählt. Am Anfang habe ich ein wenig gebraucht, um mit den Figuren warm zu werden, Rachel ist sehr distanziert und Henry wirkt mit seinem leidlichen Ständig-auf-seine-Ex-Warten irgendwie nicht gerade sehr (typisch) männlich (“Mein Plan ist, auf dem Sofa liegen zu bleiben, mit kurzen Unterbrechungen, um aufs Klo zu gehen oder ein überbackenes Sandwich zu essen, bis Amy zu mir zurückkommt. Sie kommt immer zu mir zurück. Es ist nur eine Frage der Zeit.” (Zitat S.35)), aber — trotz zunächst ruhigeren Tönen — nimmt die Geschichten einen dann doch schnell gefangen und insgesamt gesehen ist “Das tiefe Blau der Worte” ein wirklich sehr schön komponiertes Buch. Dafür sorgen neben dem angenehmen Erzählton auch die eingeschobenen Briefe, die eine ganz besondere Rolle spielen. Denn in der Buchhandlung, in der Rachel bald darauf wieder arbeitet, gibt es außergewöhnliche Abteilung: Die Briefbibliothek. Dies ist “… eine Abteilung mit Büchern, die nicht zu verkaufen sind. Kunden können darin lesen, aber sie können sie nicht mit nach Hause nehmen. Sie können Lieblingswörter oder ‑sätze umkringeln und Kommentare an den Rand schreiben. Und sie können in den Büchern Briefe an andere hinterlegen, die auch zum Lesen dorthin kommen.” (Zitat S.30) Eine wirklich schöne Idee, die Cath Crowley in ihren Roman mit eingeflochten hat. Ebenso kunstvoll fand ich die “Lesezeichenattrappe” zu Beginn jedes Kapitels: ein aufgedrucktes Lesebändchen, das einen Schnörkel bildet und zugleich noch den Text der Überschrift des Kapitels abbildet — einen Satzteil aus dem darauf folgenden Kapitel. Was aber besonders beeindruckend ist, ist neben den vielen literarischen Erwähnungen (die Familie empfiehlt sich oft Romane) und Bezügen zu Büchern auch die Hervorhebung der Kraft der Worte. Etwas, wovon Rachel zunächst gar nicht überzeugt ist. Worte können an Trauer — ihrer Meinung nach — zum Beispiel gar nichts ausrichten. Henry versucht sie da auf geschickte Art und Weise vom Gegenteil zu überzeugen und am Leben (und der Liebe) wieder teilhaben zu lassen. Das Ende ist berührend.
Fazit: Eine sehr zarte und behutsam erzählte Liebesgeschichte, die eine schöne Verbindung zur Ausdruckskraft des Menschen schafft.
Wenn dir der Erzählstil von Cath Crowley gefällt, lies unbedingt noch ihre anderen Bücher: “Graffiti Moon” und “Lieder eines Sommers” (toll!). Eine gute Lesealternative ist auch “Der Sommer, als du wiederkamst” von Emily Martin, in dem sich die Hauptfiguren auch nach längerer Zeit erst wiedersehen. Unheimlich packend und romantisch erzählt! Das gleiche kann ich von “Wenn du mich küsst” von Juliana Stone behaupten. Ein Roman, in dem Liebesbriefe eine große Rolle spielen, ist “To all the boys I’ve loved before” von Jenny Han. Die Trauerthematik wird auch in “Wie viel Leben passt in eine Tüte?” von Donna Freitas behandelt. Hinsichtlich der sanft erzählten Liebesgeschichte musste ich sofort an “Eleanor & Park” von Rainbow Rowell denken. Oder lies “Lass mich nicht los” von Sarah Alderson.
Bibliografische Angaben: Verlag: Carlsen ISBN: 978-3-551-31949-4 Erscheinungsdatum: 3.Dezember 2020 Einbandart: Taschenbuch Preis: 8,99€ Seitenzahl: 400 Übersetzer: Claudia Feldmann Originaltitel: "Words in deep blue" Originalverlag: Penguin Random House Australisches Originalcover: Trailer (auf Englisch):
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(4,5 von 5 möglichen Punkten)
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