“Staat X: Wir haben die Macht!” von der deutschen Autorin Carolin Wahl ist ein Spannungsroman, der ein bisschen nach “Die Welle” klingt, nur etwas politischer. Ein Experiment an einer Schule. Ein Versuch, der außer Kontrolle gerät. Ein Buch, das die Mechanismen von Macht, Gruppendynamiken und ein Geflecht von Beziehungen in den Mittelpunkt stellt. Ich habe schon lange nichts mehr so Fesselndes, Durchdachtes und gut Erzähltes gelesen! Lesetipp!! Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.
Zwei Jahre haben sie sich vorbereitet. Zahlreiche Schüler und Lehrer des Johannes-Gutenberg-Gymnasiums. Jetzt ist es endlich soweit. Das Projekt “Staat X” startet und die ganze Schule wird sich für eine Woche lang in einen Staat verwandeln. Alle Ämter werden besetzt. Ein Präsident wird gewählt. Es werden kleine Cafés und Bars eröffnet, es gibt ein Schwimmbad, ein Kino, zwei Zeitungen und sogar eine eigene Währung, die sich Xero nennt. Und abends müssen die Schüler, die einer arbeitenden Tätigkeit nachgehen, ihre Steuern bezahlen. “Wir haben uns für eine etwas gewagtere Variante von Schule als Staat entschieden, denn die höheren Klassen werden auch in der Schule übernachten. Das hat anfangs für viele Diskussionen gesorgt, aber wir haben und dazu entschlossen, noch einen Schritt weiterzugehen: Den Staat wirklich in die Hände der Schüler zu übergeben, was eine riesige Verantwortung ist, aber gleichzeitig auch ein tolles Experiment. So können wir sehen, ob sie tatsächlich fähig sind, einen Staat zu führen.” (Zitat aus “Staat X: Wir haben die Macht!” S.30) Nur drei Lehrer sind während der Woche in der Schule anwesend, die sich aber im Hintergrund halten und nicht aktiv in irgendetwas eingreifen dürfen. Mit bei dem Projekt machen auch Adrian, Melina, Lara und Vincent mit. Für Adrian, der unter seinem tyrannischen, Leistung einfordernden Vater leidet, ist die Schule der einzige Ort, an dem er sich nicht klein fühlen muss. Natürlich hat er sich zur Wahl des Präsidenten aufstellen lassen, um es seinem Vater zu zeigen. Doch, was wenn er die Wahl gar nicht gewinnt? Melina ist schüchtern und eher unscheinbar. Sie führt mit ihrer besten Freundin in Staat X die “Büchereule” und versucht möglichst im Hintergrund zu bleiben. Vor allem
Adrian, mit dem sie ein unausgesprochenes Geheimnis verbindet, will sie auf keinen Fall über den Weg laufen. Lara ist neu an der Schule. Schon der vierte Umzug liegt hinter ihr und sie wünscht sich vor allem eines: dazuzugehören. Nicht wieder Außenseiter zu sein. Doch dann erfährt sie, dass sie “arbeitslos” ist in Staat X und auch abends wieder nach Hause gehen soll und nicht wie die anderen Oberklassen-Schüler übernachten darf. Wie soll sie da Anschluss finden? Vincent ist antriebslos, unsicher und wird von seinen Freunden aufgezogen, dass ausgerechnet er, der gelegentlich mal einen Joint raucht, jetzt zum “Polizist” in Staat X ernannt worden ist. Dann interessieren er und sein Freund Adam sich auch noch für das gleiche Mädchen. Für die neue Schülerin Lara… Während der Beginn von Staat X vor allem von großer Euphorie geprägt ist, müssen die Schüler bald feststellen, dass Manipulation und Sabotage Überhand nehmen. Und bald gerät alles außer Kontrolle…
“Staat X: Wir haben die Macht!” macht mit einem faszinierenden und perfekt auf den Titel abgestimmten Cover neugierig. Und es startet sogleich mit einem furiosen Prolog, der Lara in den Mittelpunkt setzt, die von einem Unbekannten im Schwimmbad unter Wasser getaucht wird: “Ich hätte mich einfach an die Regeln halten sollen, schoss es Lara durch den Kopf. Es gab nur eine Erklärung. Sie waren auf ihre Recherchen über Staat X gestoßen. Und sie würden alles dafür tun, um sie zum Schweigen zu bringen.” (Zitat S.5) Der Roman, der fast schon einem Thriller gleicht ist in personaler Erzählweise geschrieben und setzt vor allem die vier Protagonisten in den Mittelpunkt, deren Kapitel mit einem fetten “X” und ihrem jeweiligen Namen eingeleitet werden. Dann gibt es aber auch immer wieder kurze Kapitel, die zwar mit einem “X” beginnen, aber keinen Namen tragen, sondern ein Zitat aus dem Gesetzestext des “Staat X” nennen, wie zum Beispiel “Die Justiz regelt den Umgang mit Verstößen gegen Gesetze. Wahlsystem, Staat X” (Zitat S.83). Hier erzählen ebenso
andere Schüler ihre kurze Sicht der Dinge. Es werden unheimlich viele Personen genannt, jedoch gelingt das Einfinden in die Zusammenhänge der Geschichte sehr gut. Das Experiment mit dem künstlich erschaffenen Staat ist überaus faszinierend und lässt interessante Parallelen zur Realität erkennen, die auch den Schülern rasch bewusst werden: “Für einen Moment dachte er an seine überzogenen Wahlversprechen — niedrige Steuern, gute Löhne und kurze Arbeitszeiten -, alles Versprechen, die er unmöglich einhalten konnte, ohne Staat X nach zwei Tagen in den Ruin zu treiben. Gleichzeitig war ihm sehr wohl bewusst, dass es in der realen Politik auch nicht anders aussah: leere Worte und verdrehte Wahrheiten.” (Zitat S.35) Die Mechanismen von Macht, von Korruption und Manipulation werden äußerst gut in eine spannende Geschichte eingebaut und regen vor allem Schüler — das Buch ist hervorragend für eine Buchvorstellung oder als Klassenlektüre geeignet — zum Nachdenken an! Was mir vor allem an “Staat X: Wir sind die Macht!” gefallen hat, ist die Sprache der Autorin. Manche Sätze habe ich tatsächlich ein weiteres Mal lesen müssen, weil sie so perfekt formuliert sind. Stimmungen, Zwischentöne und sich rasch verändernde Gefühle hat Carolin Wahl zudem sehr gut getroffen: “Adrian grinste und wandte sich in ihre Richtung. Sein Blick traf sie wie ein Blitzschlag. Für den Bruchteil eines
Moments meinte sie, ein Aufleuchten in seinen dunkelbraunen Augen zu erkennen, etwas, das sich vertraut anfühlte wie Fingerspitzen, die über ihre Haut strichen. Doch dann erlosch das Leuchten und machte einem harten Ausdruck Platz. Einem Ausdruck, der wie Zartbitterschokolade auf ihrer Zunge klebte.” (Zitat S.38ff) Der Roman bleibt sehr geheimnisvoll. Viele Andeutungen durchziehen die Geschichte, die neugierig auf die Hintergründe machen. Die Figuren sind facettenreich und tiefgründig skizziert und wirken sehr lebendig. Und am Ende wird es richtig schön nervenaufreibend!
Fazit: Endlich mal wieder ein Buch, bei dem man wirklich Lust hat, in jeder freien Minute weiterzulesen!
Dir gefällt Carolin Wahls Erzählstil? Sie hat noch ein weiteres Jugendbuch geschrieben, das zwar auch ein Schulprojekt zeigt, allerdings eher etwas romantischer wirkt: “Mondscheinküsse halten länger”. Du magst Bücher über ein Schulprojekt? Dann lies auf jeden Fall den modernen Klassiker “Die Welle” von Morton Rhue oder “Das Projekt” von Alice Gabathuler. In eine politische Richtung gehen auch “Das Inselexperiment” von Aleksander Melli und “Rot oder Blau: Du hast die Wahl” von Manfred Theisen. Jugendliche auf sich allein gestellt, die ums Überleben kämpfen und ihre eigenen Hierarchien entdecken, das erlebst du zudem in der “Monument 14”-Reihe von Emmy Laybourne, in “Herr der Fliegen” von William Golding und in der hochspannenden “Gone”-Reihe von Michael Grant. Sehr gut vorstellen könnte ich mir auch das schon etwas ältere “Gotcha!” von Shelley Hrdlitschka, in dem ein Spiel außer Kontrolle gerät. Dasselbe passiert in “Nerve: Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen” von Jeanne Ryan und in “Panic: Wer Angst hat, ist raus” von Lauren Oliver. Klasse fand ich ebenfalls “Die Liga der Guten” von Rüdiger Bertram.
Bibliografische Angaben:Verlag: Loewe ISBN: 978-3-7432-0230-6 Erscheinungsdatum: 11.März 2019 Einbandart: Taschenbuch Preis: 9,95€ Seitenzahl: 400 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
Kasimiras Bewertung:
(5 von 5 möglichen Punkten)
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