“Du bist das Gegenteil von allem” der amerikanischen Autorin Carmen Rodrigues ist ein Roman, der sich mit heftigen Themen auseinandersetzt. Mit Suizid, Schuld, Freundschaft, die an Grenzen geht. Schmerzliches Erwachsenwerden, unerwiderte Liebe und Geheimnisse, die zu erdrücken drohen. Gewiss kein leichtes Buch, aber ein äußerst bewegendes. Lesetipp für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.
Die 16-jährige Ellie ist tot. Ein Überdosis Schlaftabletten. Sarah, ihre beste Freundin, die dieselben Tabletten nahm, hat überlebt. Das Leben muss weitergehen. Klinikaufenthalt. Therapie. Zuhause sein in einer Familie mit drei Schwestern. Das ist für Sarah nicht leicht: “Du wirst dich erholen”, sagt Mom. “So etwas braucht einfach seine Zeit.” Wir schweigen lange. So lange, bis wir eine ruhige und gefasste Bilderbuchfamilie sind: eine gute Mommy, ein guter Daddy, eine gute Tochter. Während dieses Schweigens wird mir plötzlich bewusst, dass ein Mensch sterben und gleichzeitig lebendig bleiben kann.” (Zitat aus “Du bist das Gegenteil von allem” S.23) Doch jeder hat sein Päckchen zu tragen. Auch die 15-jährige Jessie, Sarahs jüngere Schwester leidet. Auf ihre eigene Art. Und damit hat ebenfalls Ellie zu tun: “Ich schaffe es nicht, das Essen bei mir zu behalten — wenn ich überhaupt genug Appetit habe, etwas runterzubringen. Es fühlt sich an, als wäre einfach nicht genug Platz in mir. Vielleicht ist das so, wenn man ein Geheimnis mit sich herumträgt.” (Zitat S.41). Vor allem aber macht sich Jake, Ellies großer Bruder Vorwürfe. Seine Schwester hatte ihn noch angerufen, als es ihr schlecht ging. Er hatte den Wohnort seiner Familie in Ohio verlassen, um in New York zu studieren. Und er kam zu spät zu ihr zurück. Zu Ellie, die äußerst beliebt war, cool, unnahbar und gleichzeitig zerbrechlich und labil sein konnte. Die Spiele mit anderen spielte und sich nicht immer in die Karten schauen ließ. Doch nach ihrem Tod hat sie Zettel hinterlassen. Zettel in einem Pappkarton, auf denen sie ihre geheimsten Gefühle preis gibt. Es ist Jessie, die diesen Karton findet…
“Du bist das Gegenteil von allem” ist eine Geschichte, die sich erst nach und nach entfaltet. Wie ein zerknittertes Stück Papier, das man erst langsam öffnet und in eine ansehbare Form streicht. Das man mehr und mehr glättet, um klarer zu sehen. Das Stück Papier ist jedoch nur vollständig, wenn man es mit zwei anderen ebenfalls zerknitterten Teilen zusammenlegt. Es sind die drei Perspektiven, aus denen der Roman besteht, es sind Jessie, Sarah und Jake, die ihren Teil der Geschichte nach und nach erzählen. Die zusammen erst ein Ganzes ergeben. Hierbei wechseln die Zeitebenen zwischen “Danach” und “Davor”, womit Ellies Suizid gemeint ist. Vor allem Erinnerungen an früher durchziehen den Roman, wie Sarah und Ellie sich kennengelernt haben; ungeklärte Gefühle zwischen Jake und Sarah, obwohl diese mit Tommy zusammen ist; Jessie und ihr Verhältnis zu Ellie und Jake, der sich Sorgen um seine Schwester macht. Es sind eine Menge Themen in das Buch eingeflochten. So kommen neben Suizid, Schuld und Trauer auch Selbstverletzung, Alkoholismus, Scheidung, Missbrauch, Essstörung und Homosexualität darin vor, was insgesamt gesehen jedoch ein bisschen überfrachtet vorkommt.
Es dauert auch ziemlich lange, bis der Karton mit den Zetteln gefunden wird. Der Klappentext des Romans lässt andere Erwartungen groß werden. Der Inhalt von Ellies Botschaften wird nacheinander vor jedem Kapitelbeginn und jedem Perspektivenwechsel eingeblendet. Insgesamt sind es 34 Zettel und genauso viele Kapitel. Ich hatte teilweise Schwierigkeiten damit zuzuordnen, wen sie mit dem “du” in ihren Botschaften anspricht. Denn das “du” scheint zu wechseln. Man muss eine Menge kombinieren und für möglich halten in “Du bist das Gegenteil von allem”. Auch das Ende lässt (leider) viel Raum für eigene Gedanken. Ich hatte mir irgendwie noch eine überraschende Auflösung, ein paar zusätzliche Erklärungen gewünscht. Schade, denn insgesamt gesehen, hat der Roman sehr viel Potential und liest sich sehr spannend. Vielleicht sollte man ihn (um alles zu verstehen) zwei Mal lesen… Ideal daher als Klassenlektüre, hier kann man jede Menge Interpretationen anstellen!
Eine Alternative zu “Du bist das Gegenteil von allem”, ist der Bestseller von Jay Asher: “Tote Mädchen lügen nicht”. Hier sind es nicht 34 Zettel, sondern 13 Kassetten, die den Suizid eines Mädchens zu erklären versuchen. Puzzeln muss man auch bei “Allein unter Schildkröten” von Marit Kaldhol, um die Gründe eines Selbstmordes zu verstehen. Der Frage nach der Schuld wird ebenfalls in “Dann mach ich eben Schluss” von Christine Fehér sehr detailliert nachgegangen. Ein Roman aus ebenso drei Perspektiven (und den Themen Suizid, Selbstverletzung) ist “Zwei oder drei Dinge, die ich dir nicht erzählt habe” von Joyce Carol Oates. Eine Persönlichkeit, die zerbrochen ist, erlebst du in dem bewegenden Roman “Scherbenmädchen” von Liz Coley. Klasse und auch ein wenig verstörend ist “Doppeltot” von Gideon Samson (ebenso mit Freundschaft, die an Grenzen stößt).
Bibliografische Angaben:Verlag: cbt ISBN: 978-3-570-16158-6 Erscheinungsdatum: 30.März 2015 Einbandart: Hardcover Preis: 16,99€ Seitenzahl: 384 Übersetzer: Katarina Ganslandt Originaltitel: "34 pieces of you" Originalverlag: Simon & Schuster Amerikanisches Originalcover:
Englischer Trailer:
Kasimiras Bewertung:
(3,5 von 5 möglichen Punkten)
--------------------------------------------------------------------------------- Amerikanisches Cover: Homepage von Carmen Rodrigues (Zitat auf Foto stammt aus "Du bist das Gegenteil von allem" S.37)