Mit seinem neuen Taschenbuch beweist der australische Autor Barry Jonsberg, dass er auch anders kann: “Das ist kein Spiel” ist diesmal kein Roman mit ernstem, aber humorvollem Hintergrund, sondern ein Thriller geworden. Zum Glück ist die Ernsthaftigkeit und der Humor geblieben;-) Eine Familiengeschichte über einen unerwarteten Lottogewinn, eine noch unerwartete Entführung und einen Jungen, der mithilfe von Logik, mathematischen Fähigkeiten und der Spieltheorie versucht den Bösewicht zu überführen. Gelungen erzählt und höchst unterhaltsam! Ein echtes Lesevergnügen. Für Jungs (und Mädchen) ab 13 Jahren und interessierte Erwachsene.
Der 16-jährige Jamie liebt seine kleine, 7‑jährige Schwester Phoebe über alles. Zu ihrem sechsten Geburtstag hat er ihr einen Schlafanzug mit mathematischen Formeln darauf geschenkt. Den trägt sie seitdem immer: “Einige Gleichungen waren verblasst, und das Gewebe war voller kleiner Knötchen, aber auch das machte ihr nichts aus. Phoebe interessierte sich nicht für Mathematik. Sie interessierte sich für Geschichten. Und sie interessierte sich für mich, ihren Bruder, und deshalb liebte sie den Schlafanzug.” (Zitat aus “Das ist kein Spiel” S.16) Daher ist es auch kein Wunder, dass Jamie — der ein wahres Rechengenie ist — seiner kleinen Schwester, wenn er ihr eine Gutenachtgeschichte erzählt, von drei Prinzen erzählt, die um die Hand der Prinzessin anhalten und gleichzeitig mathematische Rätsel darin einbaut. Wer auf wen zuerst schießen muss, um nach berechneter Wahrscheinlichkeit am Ende der Sieger zu sein. “Das nennt sich Spieltheorie, was bedeutet, dass du dir nicht nur überlegst, was du tun willst, sondern auch, was die anderen tun werden.” (Zitat S.20) Etwas unkontrollierbarer und unberechenbarer ist dagegen Jamies ältere Schwester Summerlee, seit einiger Zeit das Problemkind der Familie. Drogen, Schule schwänzen, ausschweifende Partys. Zu ihrem 18.Geburtstag kauft sie sich ein paar Lottolose und lässt sich von Jamie hierfür ein paar Lektionen in Wahrscheinlichkeitsrechnung geben. Als er ihr lediglich als Beispiel ein paar willkürliche Zahlen nennt, schreibt sie diese mit und reicht sie ein. Und gewinnt tatsächlich! SIEBEN EINHALB MILLIONEN DOLLAR!! Und das Erste, was Summerlee macht, ist von Zuhause auszuziehen und ihren Job im Supermarkt zu kündigen. “Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache”, sagte Mom schließlich. “Sie ist einfach nicht reif genug, um mit einer so gewaltigen Summe umzugehen.” […] “Ich würde dir gern widersprechen”, sagte Dad, “aber
mir geht es genauso. Ich glaube, das gibt noch Probleme.” […] Wie es sich herausstellte, hatte Dad aber recht mit den Problemen. Doch keiner von uns hatte zu diesem Zeitpunkt auch nur die leiseste Ahnung, wie verheerend diese Probleme sein würden.” (Zitat S.84) Denn bald darauf wird Phoebe aus dem Supermarkt entführt, in dem Jamie und sie gerade einkaufen waren. Der Entführer verlangt zwei Millionen Lösegeld und er will nur mit Jamie verhandeln…
“Das ist kein Spiel” beginnt mit einem furiosen Prolog: “Jemanden zu erschießen, ist nicht einfach. Ich weiß das von meinen Recherchen. […] Der Rückstoß einer Handfeuerwaffe bewegt den Lauf, was die Geschossbahn verändert. Nicht zu treffen, ist ganz einfach. Ohne Übung ist es tatsächlich viel einfacher, danebenzuschießen, als zu treffen. Ich habe keine Übung. Ich werde nah herangehen müssen.” (Zitat S.7ff) Was ist passiert? Warum schleicht Jamie sich mit einer Waffe aus seinem Haus, in dessen Wohnzimmer gerade zwei Polizisten sitzen? Will er wirklich jemanden erschießen? Der Hauptteil setzt direkt danach fünf Monate früher ein. Der Roman ist durchgehend aus Jamies Sicht in der Ich-Perspektive geschrieben. Der Erzählton ist locker und total angenehm zu lesen. Flott, flapsig und mit einer coolen Art von Humor. Besonders die Geschwister-Szene zu Beginn, als Jamie seiner kleinen Schwester die Gutenachtgeschichte garniert mit einer großen Portion Wahrscheinlichkeitsrechnung erzählt, ist herrlich komisch und amüsant zu lesen. Dieses Buch ist nicht nur erfrischend und unterhaltsam geschrieben, sondern brilliert auch durch sehr gelungene Beschreibungen der einzelnen Figuren. Man kann sich sämtliche Charaktere sehr gut vorstellen, wie zum Beispiel Summerlee: “Ihr Haar ist von Natur aus dunkel, und wenn die Sonne darauf schien, glänzte und schimmerte es explosionsartig. Jetzt ist es mattblond, ohne Leben. Wie Stroh. […] Manchmal glaube ich, dass sie sich als Person irgendwie auflöst — ihre Lebendigkeit, Persönlichkeit und Lebensfreude waren irgendeinem Element ausgesetzt, das alles abgeschält hat. Was noch übrig ist, ist hart und gleichzeitig spröde. Blass. Es ist, als beobachte man etwas, das in der Sonne vertrocknet und nach und nach stirbt.” (Zitat S.23) Die Spannung ist für einen Thriller jetzt nicht überbordend riesig, aber die Geschichte selbst total unterhaltsam und ich habe sie wirklich sehr gerne gelesen. Das Ende ist unerwartet und gleichzeitig absolut passend.
Fazit: Ein echt cooles Buch für Jungs mit Tiefgang und der richtigen Portion Ironie!
Wenn dir das Buch von Barry Jonsberg gefallen hat, kannst du noch seine älteren Bücher lesen: “Die Sache mit Kiffo und mir”, “Alles dreht sich nur um dich”, das tolle (hochgelobte) “Das Blubbern von Glück”, “Flieg, so hoch du kannst” und für jüngere Leser (ab 10 Jahren) “Ein knochenharter Job oder Wie ich half, Gott zu retten”. Sein neuestes Buch ist zudem “Was so in mir steckt”. Wenn du Familiengeschichten magst, in denen die Charaktere besonders schön beschrieben werden, dann könnte auch “Vielleicht sogar wir alle” von Marie-Aude Murail etwas für dich sein. Eine berührende Geschichte, in der auch eine kleine Schwester eine große Rolle spielt, ist “Was fehlt, wenn ich verschwunden bin” von Lilly Lindner. Ein Lottogewinn, der ein Leben verändert, das findest du in “Lottery Boy” von Michael Byrne und “Prinzenleben” von Corien Botman. Eine Entführung eines kleinen Mädchens (der Nichte der Protagonistin) ist die Hauptthematik in “Der süße Kuss der Lüge” von Beatrix Gurian. Etwas actionreicher für Jungs ist zum selben Thema “Bodyguard: Das Lösegeld” von Chris Bradford. Eine Neuerscheinung ist auch “Ich komm dich holen, Schwester” von Kelly Anne Blount, aber erzählt aus der Sicht der Entführten.
Bibliografische Angaben:Verlag: cbt ISBN: 978-3-570-31326-8 Erscheinungsdatum: 9.März 2020 Einbandart: Taschenbuch Preis: 10,00€ Seitenzahl: 320 Übersetzer: Ursula Höfker Originaltitel: "Game Theory" Originalverlag: Allen & Unwin Australisches Originalcover:
Deutsches Originalcover:
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Kasimiras Bewertung:
(4,5 von 5 möglichen Punkten)
--------------------------------------------- Australisches Cover: Homepage von Allen & Unwin