“Die Stille meiner Worte” der deutschen Autorin und Bloggerin Ava Reed ist nun neu als Taschenbuch erschienen. Ein Roman, der nicht nur mit einem bildschönen Cover verzaubert, sondern vor allem mit der kraftvollen, poetischen Sprache! Eine Geschichte über das Zerbrechen, über Trauer und Schuld. Und über einen ganz besonderen Ort, um all dies zu verarbeiten. Ein herausragendes, äußerst ergreifendes Buch. Lesetipp! Für Jugendliche ab 12 Jahren und Erwachsene.
Die 17-jährige Hannah ist in tiefer Trauer versunken. “Alles in mir schmerzt. Es ist die Art von Schmerz, die so stark ist, dass man ihn nicht mehr zeigen kann, weil er eine Grenze überschritten hat. Die Art, die man nicht herauslassen kann, weil jeder Schrei, jedes Wort und jede Träne zu wenig wären für ihn.” (Zitat aus “Die Stille meiner Worte” S.11) Hannah spricht nicht mehr. Sie bringt kein einziges Wort mehr heraus. Seit Izzy tot ist. Ihre Zwillingsschwester. Denn nun wird sie nie wieder ganz sein. “Du bist gegangen und du hast so viel mitgenommen. Es ist, als hättest du mir mein Worte genommen, meine Sprache und Stimme. Als hättest du mir einen Flügel zum Fliegen geraubt.” (Zitat S.16) Ihren Eltern geht Hannah aus dem Weg. Ihre Nächte sind voller Alpträume und die Tage gefüllt mit Erinnerungen an ihre Schwester. Ihre Haare hat sie nun blauschwarz gefärbt, damit sie nicht mehr so blond sind und sie an Izzy denken lassen. An die sie sowieso die ganze Zeit denkt. Der Hannah jeden Tag einen Brief schreibt und ihn dann anschließend verbrennt. “Aus meinen Gedanken wurden Worte, die nun verbrennen und wieder zu Gedanken werden. Aber jetzt habe ich das Gefühl, sie gesagt zu haben. Still und doch so laut.” (Zitat S.24) Doch dann schicken ihre Eltern sie eines Tages weg. In ein Internat, das auf Fälle wie sie spezialisiert ist. Nach St. Anna. Obwohl Hannah dort gar nicht hin will. Dann fahren sie als Einführungstradition auch noch drei Wochen lang in ein Camp an einen See. Mit dabei ist Levi, der schon seit 6 Jahren im Internat ist. “Levi. Der Junge aus dem Bus. Der mich am See beobachtete und der mit niemandem redet. Der Junge, der abseitssteht.” (Zitat S.129) Doch ebenfalls mit ihm will Hannah eigentlich nichts zu tun haben. Mit niemandem. Sie will eigentlich nur weiterhin ihrer Schwester Briefe schreiben und diese dann verbrennen. Auch wenn sie das nun heimlich nachts am See tun muss. “Ich will nicht, dass mir andauernd Fragen gestellt werden, auf die ich ohnehin nicht antworten kann. Ich will Privatsphäre. […] Und am wenigstens will ich angestarrt werden. Nicht von fremden Menschen, nicht von diesem komischen Jungen. Er hat kein Recht dazu, niemand hier hat das, denn so, wie ich das sehe, hat hier jeder sein eigenes Päckchen zu tragen. Sie sollen meins in Ruhe lassen!” (Zitat S.103) Aber Hannah hat ihre Katze mit in das Camp geschmuggelt. Izzys Katze, um die sie sich nun kümmern will. Um das geheim zu halten ist sie dummerweise auf Hilfe angewiesen…
“Die Stille meiner Worte” (selten harmonieren Titel, Inhalt und Cover so gut miteinander!) beginnt mit einer Musikliste zum Buch und einem Vorwort, in dem Ava Reed ein paar interessante Worte an ihre Leser richtet: “Für dich: Weil du das hier liest. Vergiss nicht, dass es okay ist, auch mal nicht okay zu sein.” (Zitat S.5) Auch Hannah ist “nicht okay”. Ihre Trauer erlebt man vor allem zu Beginn äußerst intensiv und schmerzvoll. Von daher ist der Roman kein einfaches Buch, aber eines, das unheimlich schön erzählt ist und mit einer gigantischen Sprache (!) aufwartet und manch klugen Worten: “In diesem Moment wünsche ich mir, die Mauern in mir wären fort, damit ich ihn anschreien kann. Ihn und die ganze Welt. Aber es funktioniert nicht, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Weil keines der unzähligen Worte etwas ändern würde. Kein einziges! Nichts, außer dass sie gesagt wurden und nicht zurückgenommen werden können. Sind sie einmal gesprochen, hallen sie nach und verklingen nie, denn Worte sind Kinder der Ewigkeit.” (Zitat S.13) Immer wieder werden Briefe an Izzy abgedruckt, die in handschriftlicher Form verfasst und mit Tintenflecken an den Seiten versehen sind. Das Buch ist in Kapitel unterteilt und wird mal aus Hannahs Sicht, mal aus Levis Sicht in der Ich-Perspektive erzählt. Kurze Überschriften unter dem Namen mit poetisch Worten/Lebensweisheiten leiten die Kapitel ein. Und die ganze Zeit fragt man sich: was ist mit Izzy passiert? Woran ist sie gestorben? Warum schreibt Hannah ihr in einem Brief zum Beispiel “Du wirst mir nie verzeihen. Ich weiß das alles und trotzdem schreibe ich weiter. Weil es ein letzter Anker ist.” (Zitat S.47)? Was hat sie getan?
Um ihre Trauer zu verarbeiten, muss sie sich öffnen. Und baut so allmählich Kontakt zu Levi, aber auch zu ihrer Zeltbewohnerin Sarah auf, die ihr eigenes (großes) Päckchen zu tragen hat. Dass man eine Kontaktaufnahme und Verarbeitung von Trauer ohne Dialoge der Protagonisten aufbauen kann, erscheint schwierig. Ava Reed meistert diese zarte Annäherung sehr gelungen. Man hätte eine Liebesgeschichte erwarten können, doch davon gibt es tatsächlich nur Andeutungen. Ob Freundschaft oder Liebesbeziehung — das bleibt der Fantasie des Lesers selbst überlassen. Auf jeden Fall erwarten ihn am Ende eine glaubhafte Wandlung der Hauptfiguren und ein Wort mit acht Buchstaben: H O F F N U N G.
Fazit: Bis auf die Formulierung “ein Lächeln zupft an seinen Lippen”, die ich etwas gewöhnungsbedürftig fand und die öfters in dem Roman vorkommt, kann ich absolut nichts an “Die Stille meiner Worte” aussetzen! Eine sehr lohnenswerte Geschichte, die man so schnell nicht vergessen wird und der ich jede Menge Leser wünsche!
Wenn dir das Buch gefallen hat, dann lies doch noch die anderen Bücher von Ava Reed wie zum Beispiel “Die Spiegel-Saga”: “Spiegelsplitter” (Band 1) und “Spiegelstaub” (Band 2), die beide 2015 erschienen. Anschließend folgten “For Good: Über die Liebe und das Leben” (2016) und “Mondprinzessin” (ebenfalls 2016). Richtig toll fand ich “Wir fliegen, wenn wir fallen” — eine sehr gute Alternative zu “Die Stille meiner Worte”. Danach folgte Ava Reeds wohl persönlichstes Buch “Alles. Nichts. Und ganz viel Dazwischen.”, in dem sie eine Angststörung verarbeitet. Eine Neuerscheinung von diesem Jahr ist “Ashes and Souls: Schwingen aus Rauch und Gold”. Ein wenig musste ich von der tollen Sprache und der Ernsthaftigkeit her auch an “Was fehlt, wenn ich verschwunden bin” von Lilly Lindner denken. Eine Zwillingsschwester, die verstorben ist? Das findest du in dem Spannungsroman “Die Seele meiner Schwester” von Trisha Leaver und “In deinem Licht und Schatten” von Louisa Reed (brillant und noch ein Geheimtipp leider). Zwei bewegende Schwesterngeschichten sind “Between love and forever” von Elizabeth Scott und “Ich lebe lebe lebe” von Alison McGhee. Mehr Schwesterngeschichten kannst du noch in diesem Special entdecken! Eine Hauptperson, die schweigt, das erlebst du zum Beispiel in “Speechless” von Hannah Harrington, “Schweigen ist Goldfisch” von Annabel Pitcher oder “Die Wahrheit, wie Delly sie sieht” von Katherine Hannigan. Ein gelungener Roman über Jugendliche, die sich in einer psychiatrischen Einrichtung am Meer ihren Problemen stellen, ist ebenso “Mein Sommer auf dem Mond” von Adriana Popescu. Oder lies “Was uns bleibt ist jetzt” von Meg Wolizer.
Bibliografische Angaben:Verlag: Oetinger ISBN: 978-3-8415-0594-1 Erscheinungsdatum: 21.Oktober 2019 Einbandart: Taschenbuch Preis: 12,00€ Seitenzahl: 320 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: - Die Autorin erzählt von ihrem Buch:
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