Antje Babendererde — Triff mich im tiefen Blau

17.Mai 2024

Triff mich im tie­fen Blau” ist der neu­es­te Roman von der deut­schen Autorin Ant­je Baben­der­erde und zugleich ihr drit­tes (unab­hän­gig zu lesen­des) Buch, das in Schott­land spielt. Dies­mal ent­führt sie auf eine Insel namens Ora­say. Hier­hin flüch­tet die jun­ge Leo­nie, die als Umwelt­schüt­ze­rin von depres­si­ven Zukunfts­sor­gen geplagt wird. Die Som­mer­fe­ri­en wird sie bei ihrer Mut­ter ver­brin­gen, die auf der Insel lebt, ehe sie sich dem schu­li­schen All­tag wie­der stel­len muss. Dort lernt sie den jun­gen Tam ken­nen, der Freund­schaft mit einem Del­fin geschlos­sen hat. Zusam­men erkun­den sie die Insel und kom­men ein­an­der näher. Doch dann tau­chen Umwelt­schüt­zer auf der Insel auf und rich­ten ordent­lich Cha­os an… Eine atmo­sphä­ri­sche, unter­halt­sa­me, aber zu Beginn lei­der etwas ruhi­ger erzähl­te Geschich­te, die jede Men­ge Lokal­ko­lo­rit ver­sprüht und sich inten­siv mit Umwelt­schutz und Akti­vis­mus aus­ein­an­der­setzt. Für Jugend­li­che ab 14 Jah­ren und inter­es­sier­te Erwachsene.

Leo­nie ist 17. Und lebt bei ihrem Vater in Ber­lin. Sie enga­giert sich für den Umwelt­schutz. Geht für Fri­days for Future auf die Stra­ße. Doch dann ver­liebt sie sich in den viel älte­ren Milo, einen radi­ka­len Umwelt­schüt­zer. Er ani­miert sie sogar dazu sich auf der Stra­ße fest­zu­kle­ben. “Ich war da und kleb­te mit mei­nen Hän­den am Asphalt. Wer nicht kam, war Milo. Wäh­rend ich mit den ande­ren an der Stra­ße kleb­te, wur­den wir von Leu­ten an den Haa­re gezo­gen, ange­pö­belt und bespuckt. Wider­li­ches Gesin­del! und Ich hof­fe, du atmest nicht mehr lan­ge! waren noch die harm­lo­ses­ten Beschimp­fun­gen.” (Zitat aus “Triff mich im tie­fen Blau” S.15). Leo­nie wird nicht mit ver­haf­tet, weil sie noch min­der­jäh­rig ist, aber ihr Vater erteilt ihr erst­mal wochen­lang Haus­ar­rest. Das Mäd­chen resi­gniert. Hadert mich sich und ihrer Zukunft. “Von heu­te auf mor­gen ver­lor ich jeg­li­che Moti­va­ti­on, war ziel­los, plan­los, mut­los. Der Hass, der der Kli­ma­be­we­gung ent­ge­gen­schwapp­te, ließ mich nicht mehr schla­fen. Ich ertrank in bad new — apo­ka­lyp­ti­schen Bil­dern und Berich­ten von Brän­den, Dür­ren und Über­schwem­mun­gen rund um die Uhr.” (Zitat S.16) Leo­nie zieht sich zurück, will ihre Freun­de nicht mehr sehen. Und weil sie selbst in der Schu­le selt­sa­me Panik­at­ta­cken hat, geht sie auch dort irgend­wann nicht mehr hin. Sie glaubt nicht mehr an eine Zukunft. War­um dann noch einen Schul­ab­schluss machen? Demons­trie­ren gehen will sie auch nicht mehr, ohne Milo. Weil ihr Vater sich Sor­gen um sie macht, muss sie bald dar­auf zu einer The­ra­peu­tin. Und schließ­lich schlägt die­se ihr einen Orts­wech­sel vor. Sie könn­te ja den Som­mer bei ihrer Mut­ter ver­brin­gen, die auf der schot­ti­schen Insel Ora­say lebt. Leo­nie lässt sich dar­auf ein. “Ich win­ke zurück, doch mei­ne Schrit­te ver­lang­sa­men sich. Ich bin frei­wil­lig hier, aber nicht auf eige­nen Wunsch. Bei Ma auf Ora­say zu sein, ist eine Art ret­ten­de Zuflucht.” (Zitat S.21) Auf der Insel begeg­net sie Tam, der ihr Nach­bar ist und der ihr eini­ges von der Insel zeigt. Beson­ders fas­zi­niert ist Leo­nie von der Tat­sa­che, dass er sich mit einem Del­fin ange­freun­det hat, den er vor Jah­ren aus einer Not­la­ge befreit hat. Doch dann tau­chen ein paar Natur­schüt­zer auf der Insel auf und Leo­nie gerät wie­der in ihren Bann. Sie wol­len gegen eine Lacht­zucht­an­la­ge auf der Insel Stim­mung machen. Das gefällt Tam, des­sen Vater dort arbei­tet, gar nicht…

Das Cover ist wirk­lich ein Traum! Zudem das ers­te Buch der Autorin mit Farb­schnitt (nur in der Erst­auf­la­ge). Der Roman macht äußer­lich bereits rich­tig Lust auf ein Aben­teu­er in der Fer­ne. Ein­ge­lei­tet wird das Gan­ze durch fol­gen­des Zitat: “Nie­mand ist eine Insel, die nur aus sich selbst besteht. Jeder Mensch ist Teil eines Kon­ti­nents, Teil eines Gan­zen.” John Don­ne KasimiraZitat S.5) Das Buch spielt auf einer schot­ti­schen Insel, die es in Wirk­lich­keit tat­säch­lich so nicht gibt, wie die Autorin online erklärt, aber die ange­lehnt ist an ihre schot­ti­sche Lieb­lings­in­sel Bar­ra. Die­se ist eine der größ­ten Inseln der Äuße­ren Hebri­den. Neu­gie­rig auf die­se Insel­grup­pe macht sie den­noch auf jeden Fall mit ihren Beschrei­bun­gen. “Die Insel Ora­say, die aus Licht, grü­nen Hügeln, Fel­sen und hel­len Strän­den besteht, ist karg, rau und wun­der­schön. Hier scheint in vie­ler­lei Hin­sicht die Zeit ste­hen geblie­ben zu sein.” (Zitat S.54ff) “Triff mich im tie­fen Blau” beginnt mit einem Pro­log, der Tam als 12-Jäh­ri­gen beschreibt, wie er einen Del­fin befreit. Als sich die Flu­ke des Del­fins aus dem Tang beweg­te, ent­deck­te Tam die blu­ti­gen Ein­schnit­te. Das Tier hat­te sich ret­tungs­los in einer Angel­schnur ver­hed­dert.” (Zitat S.8) Dann setzt der Haupt­teil ein, der meist aus Leo­nies Sicht in der Ich-Per­spek­ti­ve geschrie­ben wird, aber auch ab und zu Mal Tams Sicht (in per­so­na­ler Erzähl­wei­se) zeigt: “Was auch immer Tam bedrückt oder ihm das Leben schwer macht: Am Meer kann er auf­hö­ren, sich dar­über Gedan­ken zu machen.” (Zitat S.69) Roma­ne von Ant­je Baben­der­erde lese ich eigent­lich immer sehr ger­ne. Sie sind gut durch­dacht, bewe­gend, roman­tisch und mit­rei­ßend. Auch die Spra­che ist sehr atmo­sphä­risch und ange­nehm zu lesen, sehr detail­l­ver­liebt: “Wir ste­hen neben­ein­an­der und lau­schen dem Gesang der Flut. Der Herz­schlag des Mee­res über­trägt sich auf den Fel­sen und bringt mei­nen eige­nen Herz­schlag durch­ein­an­der. Das ist ver­wir­rend, doch gleich­zei­tig fühlt es sich gut an. Wir haben die Son­ne im Rücken und das Was­ser unter uns ist so klar, dass ich durch das kab­be­li­ge Durch­ein­an­der von Licht und Schat­ten, Muscheln, klei­ne Fische und Bla­sen­tang sehen kann. Ich kann den Him­mel spü­ren, den Fel­sen, das Meer. Ich spü­re etwas. (Zitat S.36ff) Aber das aktu­el­le Buch hat mich dies­mal lei­der etwas zwie­ge­spal­ten zurück­ge­las­sen. Mir fehl­te die Span­nung am Anfang. Die Geschich­te ist inter­es­sant, aber nicht wirk­lich mit­rei­ßend, plät­schert zuwei­len sehr vor sich hin. Man­che Andeu­tun­gen (wie “Drei Jah­re ist das jetzt her. Isla und er am drit­ten Jah­res­tag des Atten­tats, betrun­ken und von Schmerz und Ver­lust beherrscht.” (Zitat S.39)) wer­den zu schnell auf­ge­löst, als dass sie Kon­flikt­trei­ber sein könn­ten. Vor allem aber gefiel mir Tam als Prot­ago­nist nicht wirk­lich. Anfangs wirkt er wie der idea­le Som­mer­freund und poten­ti­el­ler Love-Inte­rest, ein Typ zum Pfer­de­steh­len und Dahin­schmel­zen. Doch dann gibt es Sze­nen, die ihn regel­recht unsym­pa­thisch machen. “Ich wür­de dich wirk­lich sehr ger­ne rich­tig küs­sen, Leo­nie Noak. Aber ich habe Angst, dass du mir die Zun­ge abbeißt.” Ich star­re ihn an, sehe das Fun­keln in sei­nen Augen. Heu­te bin ich geküsst wor­den, ohne dass ich es woll­te. Tam wür­de nie etwas tun, das ich nicht will. Er über­lässt die Ent­schei­dung mir.” (Zitat S.139) Wäh­rend TKasimiraam die Ent­schei­dung angeb­lich ihr über­lässt und nichts tun wür­de, was sie nicht will, pas­siert ein paar Sät­ze vor­her jedoch genau das hier: “Wir sind jetzt fast gleich groß und Tam sieht mir erst in die Augen, dann fällt sein Blick auf mei­nen Mund. Bevor ich reagie­ren kann, strei­fen sei­ne war­men Lip­pen über mei­ne. Nur eine feder­leich­te Berüh­rung.” (Zitat S.139). Kein Kuss, aber den­noch eine Berüh­rung, die ein Ein­drin­gen in Leo­nies Intim­sphä­re bedeu­tet. Zumal sie am sel­ben Abend (und das bekam Tam mit, weil er sie aus der Situa­ti­on ret­te­te!) bereits von einem ande­ren Jun­gen beim Tan­zen geküsst wur­de, ohne dass sie es woll­te. Sie hat sich sogar gewehrt und ihn letzt­end­lich in die Zun­ge gebis­sen, weil er sie nicht los­ließ. Die­se über­grif­fi­ge Sze­ne wird auch kaum wei­ter the­ma­ti­siert und Tam nutzt sei­ne Chan­ce anschlie­ßend selbst. Und beim zwei­ten Tref­fen zieht er direkt blank und lässt sei­ne Hose fal­len. Als sie ablehnt, mit ihm zu schla­fen, zieht er sie auf: “Warum gibst du nicht ein­fach zu, dass du noch Jung­frau bist, klei­ne Krab­be?”, neckt er mich mit fun­keln­dem Blick und es klingt wie ein letz­ter Ver­such, die Kon­trol­le über die Situa­ti­on zu behal­ten. “Weil ich kei­ne Lüg­ne­rin bin”, gebe ich lei­se, aber fest zurück und mache sei­ne Hoff­nung zunich­te. Tam schluckt hart, lässt mich los und geht auf Abstand. “Okay, ver­ste­he.” (Zitat S.155) Leo­nie möch­te lie­ber nur mit ihm befreun­det blei­ben. Tam flir­tet dann schon mit dem nächs­ten Mäd­chen, das ihm begeg­net (auch wenn er nicht mit ihr schläft), was wie­der­um Leo­nie über den Busch­funk der Insel mit­be­kommt: “Wie… wie stellst du das eigent­lich an? […] Sie rum­krie­gen. Für eine Nacht.” “Ich muss gar nichts anstel­len.” Jetzt kann sich Tam ein spöt­ti­sches Grin­sen kaum noch ver­knei­fen. “Sie mögen mich so, wie ich bin. Ein­fach gestrickt”, er tippt sich mit zwei Fin­gern an die Stirn, “aber mit­rei­ßend im Bett.” (Zitat S.176) Und Kasimiradann gibt es da noch Milo, über den man am Anfang nur sehr wenig erfährt, nur, dass er zu der Akti­on, sich am Asphalt fest­zu­kle­ben, nicht gekom­men ist. Hier wird zu Beginn ein wich­ti­ges Detail unter­schla­gen, dass — wenn man es im Nach­hin­ein erfährt — Leo­nies depres­si­ve Emp­fin­dun­gen noch ein­mal plau­si­bler erschei­nen lässt. Eine klei­ne Andeu­tung am Anfang wäre hier sinn­voll gewe­sen. Inter­es­san­ter wird der Roman dann wie­der lang­sam, als die Natur­schüt­zer auf der Insel auf­tau­chen. Umwelt­schutz ist ein gro­ßes The­ma in Ant­je Baben­der­erdes Roman. Hier wird sich sehr inten­siv mit aus­ein­an­der­ge­setzt. Auch das sozia­le Gefü­ge und Leben auf einer Insel, die Pro­ble­me und Sor­gen der Bewohner:innen wer­den authen­tisch dar­ge­stellt. Ergän­zend gibt es außer­dem noch ein­zel­ne Aus­chnit­te aus einem Tage­buch von frü­her, das Leo­nie liest. Eine Frau namens Ayda, die mit ande­ren Frau­en zusam­men Herin­ge aus­nimmt und einer har­ten, täg­li­chen Arbeit nach­geht. “Ich fin­de ein wei­te­res Foto von Ayda. Dar­auf sieht sie fröh­lich und furcht­los aus, als kön­ne sie es mit der gan­zen Welt auf­neh­men und nicht nur mit einer Ladung Herin­ge. Die­se jun­ge Frau war mutig und klug. Mit ihren vor hun­dert­zehn Jah­ren geschrie­be­nen Wor­ten for­dert sie mich auf, ihre Insel mit ande­ren Augen zu sehen.” (Zitat S.188) Fas­zi­nie­rend sind vor allem die Begeg­nun­gen mit dem Del­fin, der in “Triff mich im tie­fen Blau” immer wie­der eine Rol­le spielt: “Tam MacK­in­non hat einen zah­men Del­fin. Das ist so was von abge­fah­ren, dass plötz­lich mein gan­zes inne­res unter Strom steht. Das Tier dreht sich auf den Rücken und lässt sich von sei­nem Men­schen­freund am Bauch strei­cheln.” (Zitat S.59) Es wird aber auch ver­deut­licht, dass Del­fi­ne immer noch Wild­tie­re sind und auch gefähr­lich sein kön­nen. Und dass die schein­ba­re Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Tam und dem Del­fin nur funk­tio­niert, weil sie sich seit Jah­ren bereits ken­nen. Im hin­te­ren Teil macht die Autorin an Span­nung wie­der eini­ges wett, hier über­schla­gen sich die Ereig­nis­se gera­de­zu und auch Tam wird wie­der sym­pa­thi­scher. Das Ende ist schlüs­sig und passend.

Dir gefällt der Erzähl­stil von Ant­je Baben­der­erde? Sie hat jede Men­ge Roma­ne für Jugend­li­che geschrie­ben.  Vor allem auf indi­ge­ne Völ­ker hat sie sich spe­zia­li­siert. Hier chro­no­lo­gisch sor­tiert nach Erschei­nungs­da­tum: “Der Gesang der Orcas” (2003), “Lako­ta Moon” (2005)Lesealternativen“Tali­tha Run­ning Hor­se” (2005), “Libel­len­som­mer” (eines ihrer bekann­tes­ten Bücher, 2006), “Zwei­herz” (2007), “Die ver­bor­ge­ne Sei­te des Mon­des” (2007), “Indi­go­som­mer” (2009), “Rain Song” (2010). Dann erschien mal ein Buch ohne Bezug zu Nati­ve Ame­ri­can, aber auch sehr span­nend, wel­ches in Thü­rin­gen spielt, der Hei­mat der Autorin: “Ise­grim” (2013) Eben­so “Der Kuss des Raben” (2016) wid­met sich ihren Thü­rin­ger Wur­zeln. Mit “Wie die Son­ne in der Nacht” (2018) und “Schnee­tän­zer” (2019) kehrt Ant­je Baben­der­erde wie­der zurück zur The­ma­tik der indi­ge­nen Völ­ker. 2021 ver­öf­fent­lich­te sie noch “Som­mer der blau­en Wün­sche”, ihr ers­ter (unab­hän­gig zu lesen­der) Schott­land-Roman und 2022 den zwei­ten “Im Schat­ten des Fuchs­mon­des” (auch unab­hän­gi­gig). Du magst Lie­bes­ge­schich­ten, die in Schott­land spie­len? Dann kann ich dir noch By your side” von Beth Anne Mil­ler emp­feh­len, oder die zwei­bän­di­ge Rei­he von Jana Schä­fer “The way we fall” (Band 1) und “The hope we find” (Band 2). Das The­ma Umwelt­schutz fin­dest du auch in die­sen drei gelun­ge­nen Büchern“Orca­som­mer” von Sabi­ne Gie­b­ken, “Es war die Nach­ti­gall” von Kat­rin Bon­gard und “Cat­ching Fee­lings” von Kira Licht.

Bibliografische Angaben:
Schilder was wo wer wannVerlag: Arena
ISBN: 978-3-401-60743-6
Erscheinungsdatum: 8.März 2024
Einbandart: Broschur
Ausstattung: Erstauflage mit Farbschnitt
Preis: 18,00€
Seitenzahl: 384

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Kasimiras Bewertung:

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(3,5 von 5 mög­li­chen Punkten)

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