“Triff mich im tiefen Blau” ist der neueste Roman von der deutschen Autorin Antje Babendererde und zugleich ihr drittes (unabhängig zu lesendes) Buch, das in Schottland spielt. Diesmal entführt sie auf eine Insel namens Orasay. Hierhin flüchtet die junge Leonie, die als Umweltschützerin von depressiven Zukunftssorgen geplagt wird. Die Sommerferien wird sie bei ihrer Mutter verbringen, die auf der Insel lebt, ehe sie sich dem schulischen Alltag wieder stellen muss. Dort lernt sie den jungen Tam kennen, der Freundschaft mit einem Delfin geschlossen hat. Zusammen erkunden sie die Insel und kommen einander näher. Doch dann tauchen Umweltschützer auf der Insel auf und richten ordentlich Chaos an… Eine atmosphärische, unterhaltsame, aber zu Beginn leider etwas ruhiger erzählte Geschichte, die jede Menge Lokalkolorit versprüht und sich intensiv mit Umweltschutz und Aktivismus auseinandersetzt. Für Jugendliche ab 14 Jahren und interessierte Erwachsene.
Leonie ist 17. Und lebt bei ihrem Vater in Berlin. Sie engagiert sich für den Umweltschutz. Geht für Fridays for Future auf die Straße. Doch dann verliebt sie sich in den viel älteren Milo, einen radikalen Umweltschützer. Er animiert sie sogar dazu sich auf der Straße festzukleben. “Ich war da und klebte mit meinen Händen am Asphalt. Wer nicht kam, war Milo. Während ich mit den anderen an der Straße klebte, wurden wir von Leuten an den Haare gezogen, angepöbelt und bespuckt. Widerliches Gesindel! und Ich hoffe, du atmest nicht mehr lange! waren noch die harmlosesten Beschimpfungen.” (Zitat aus “Triff mich im tiefen Blau” S.15). Leonie wird nicht mit verhaftet, weil sie noch minderjährig ist, aber ihr Vater erteilt ihr erstmal wochenlang Hausarrest. Das Mädchen resigniert. Hadert mich sich und ihrer Zukunft. “Von heute auf morgen verlor ich jegliche Motivation, war ziellos, planlos, mutlos. Der Hass, der der Klimabewegung entgegenschwappte, ließ mich nicht mehr schlafen. Ich ertrank in bad new — apokalyptischen Bildern und Berichten von Bränden, Dürren und Überschwemmungen rund um die Uhr.” (Zitat S.16) Leonie zieht sich zurück, will ihre Freunde nicht mehr sehen. Und weil sie selbst in der Schule seltsame Panikattacken hat, geht sie auch dort irgendwann nicht mehr hin. Sie glaubt nicht mehr an eine Zukunft. Warum dann noch einen Schulabschluss machen? Demonstrieren gehen will sie auch nicht mehr, ohne Milo. Weil ihr Vater sich Sorgen um sie macht, muss sie bald darauf zu einer Therapeutin. Und schließlich schlägt diese ihr einen Ortswechsel vor. Sie könnte ja den Sommer bei ihrer Mutter verbringen, die auf der schottischen Insel Orasay lebt. Leonie lässt sich darauf ein. “Ich winke zurück, doch meine Schritte verlangsamen sich. Ich bin freiwillig hier, aber nicht auf eigenen Wunsch. Bei Ma auf Orasay zu sein, ist eine Art rettende Zuflucht.” (Zitat S.21) Auf der Insel begegnet sie Tam, der ihr Nachbar ist und der ihr einiges von der Insel zeigt. Besonders fasziniert ist Leonie von der Tatsache, dass er sich mit einem Delfin angefreundet hat, den er vor Jahren aus einer Notlage befreit hat. Doch dann tauchen ein paar Naturschützer auf der Insel auf und Leonie gerät wieder in ihren Bann. Sie wollen gegen eine Lachtzuchtanlage auf der Insel Stimmung machen. Das gefällt Tam, dessen Vater dort arbeitet, gar nicht…
Das Cover ist wirklich ein Traum! Zudem das erste Buch der Autorin mit Farbschnitt (nur in der Erstauflage). Der Roman macht äußerlich bereits richtig Lust auf ein Abenteuer in der Ferne. Eingeleitet wird das Ganze durch folgendes Zitat: “Niemand ist eine Insel, die nur aus sich selbst besteht. Jeder Mensch ist Teil eines Kontinents, Teil eines Ganzen.” John Donne Zitat S.5) Das Buch spielt auf einer schottischen Insel, die es in Wirklichkeit tatsächlich so nicht gibt, wie die Autorin online erklärt, aber die angelehnt ist an ihre schottische Lieblingsinsel Barra. Diese ist eine der größten Inseln der Äußeren Hebriden. Neugierig auf diese Inselgruppe macht sie dennoch auf jeden Fall mit ihren Beschreibungen. “Die Insel Orasay, die aus Licht, grünen Hügeln, Felsen und hellen Stränden besteht, ist karg, rau und wunderschön. Hier scheint in vielerlei Hinsicht die Zeit stehen geblieben zu sein.” (Zitat S.54ff) “Triff mich im tiefen Blau” beginnt mit einem Prolog, der Tam als 12-Jährigen beschreibt, wie er einen Delfin befreit. “Als sich die Fluke des Delfins aus dem Tang bewegte, entdeckte Tam die blutigen Einschnitte. Das Tier hatte sich rettungslos in einer Angelschnur verheddert.” (Zitat S.8) Dann setzt der Hauptteil ein, der meist aus Leonies Sicht in der Ich-Perspektive geschrieben wird, aber auch ab und zu Mal Tams Sicht (in personaler Erzählweise) zeigt: “Was auch immer Tam bedrückt oder ihm das Leben schwer macht: Am Meer kann er aufhören, sich darüber Gedanken zu machen.” (Zitat S.69) Romane von Antje Babendererde lese ich eigentlich immer sehr gerne. Sie sind gut durchdacht, bewegend, romantisch und mitreißend. Auch die Sprache ist sehr atmosphärisch und angenehm zu lesen, sehr detaillverliebt: “Wir stehen nebeneinander und lauschen dem Gesang der Flut. Der Herzschlag des Meeres überträgt sich auf den Felsen und bringt meinen eigenen Herzschlag durcheinander. Das ist verwirrend, doch gleichzeitig fühlt es sich gut an. Wir haben die Sonne im Rücken und das Wasser unter uns ist so klar, dass ich durch das kabbelige Durcheinander von Licht und Schatten, Muscheln, kleine Fische und Blasentang sehen kann. Ich kann den Himmel spüren, den Felsen, das Meer. Ich spüre etwas.” (Zitat S.36ff) Aber das aktuelle Buch hat mich diesmal leider etwas zwiegespalten zurückgelassen. Mir fehlte die Spannung am Anfang. Die Geschichte ist interessant, aber nicht wirklich mitreißend, plätschert zuweilen sehr vor sich hin. Manche Andeutungen (wie “Drei Jahre ist das jetzt her. Isla und er am dritten Jahrestag des Attentats, betrunken und von Schmerz und Verlust beherrscht.” (Zitat S.39)) werden zu schnell aufgelöst, als dass sie Konflikttreiber sein könnten. Vor allem aber gefiel mir Tam als Protagonist nicht wirklich. Anfangs wirkt er wie der ideale Sommerfreund und potentieller Love-Interest, ein Typ zum Pferdestehlen und Dahinschmelzen. Doch dann gibt es Szenen, die ihn regelrecht unsympathisch machen. “Ich würde dich wirklich sehr gerne richtig küssen, Leonie Noak. Aber ich habe Angst, dass du mir die Zunge abbeißt.” Ich starre ihn an, sehe das Funkeln in seinen Augen. Heute bin ich geküsst worden, ohne dass ich es wollte. Tam würde nie etwas tun, das ich nicht will. Er überlässt die Entscheidung mir.” (Zitat S.139) Während Tam die Entscheidung angeblich ihr überlässt und nichts tun würde, was sie nicht will, passiert ein paar Sätze vorher jedoch genau das hier: “Wir sind jetzt fast gleich groß und Tam sieht mir erst in die Augen, dann fällt sein Blick auf meinen Mund. Bevor ich reagieren kann, streifen seine warmen Lippen über meine. Nur eine federleichte Berührung.” (Zitat S.139). Kein Kuss, aber dennoch eine Berührung, die ein Eindringen in Leonies Intimsphäre bedeutet. Zumal sie am selben Abend (und das bekam Tam mit, weil er sie aus der Situation rettete!) bereits von einem anderen Jungen beim Tanzen geküsst wurde, ohne dass sie es wollte. Sie hat sich sogar gewehrt und ihn letztendlich in die Zunge gebissen, weil er sie nicht losließ. Diese übergriffige Szene wird auch kaum weiter thematisiert und Tam nutzt seine Chance anschließend selbst. Und beim zweiten Treffen zieht er direkt blank und lässt seine Hose fallen. Als sie ablehnt, mit ihm zu schlafen, zieht er sie auf: “Warum gibst du nicht einfach zu, dass du noch Jungfrau bist, kleine Krabbe?”, neckt er mich mit funkelndem Blick und es klingt wie ein letzter Versuch, die Kontrolle über die Situation zu behalten. “Weil ich keine Lügnerin bin”, gebe ich leise, aber fest zurück und mache seine Hoffnung zunichte. Tam schluckt hart, lässt mich los und geht auf Abstand. “Okay, verstehe.” (Zitat S.155) Leonie möchte lieber nur mit ihm befreundet bleiben. Tam flirtet dann schon mit dem nächsten Mädchen, das ihm begegnet (auch wenn er nicht mit ihr schläft), was wiederum Leonie über den Buschfunk der Insel mitbekommt: “Wie… wie stellst du das eigentlich an? […] Sie rumkriegen. Für eine Nacht.” “Ich muss gar nichts anstellen.” Jetzt kann sich Tam ein spöttisches Grinsen kaum noch verkneifen. “Sie mögen mich so, wie ich bin. Einfach gestrickt”, er tippt sich mit zwei Fingern an die Stirn, “aber mitreißend im Bett.” (Zitat S.176) Und dann gibt es da noch Milo, über den man am Anfang nur sehr wenig erfährt, nur, dass er zu der Aktion, sich am Asphalt festzukleben, nicht gekommen ist. Hier wird zu Beginn ein wichtiges Detail unterschlagen, dass — wenn man es im Nachhinein erfährt — Leonies depressive Empfindungen noch einmal plausibler erscheinen lässt. Eine kleine Andeutung am Anfang wäre hier sinnvoll gewesen. Interessanter wird der Roman dann wieder langsam, als die Naturschützer auf der Insel auftauchen. Umweltschutz ist ein großes Thema in Antje Babendererdes Roman. Hier wird sich sehr intensiv mit auseinandergesetzt. Auch das soziale Gefüge und Leben auf einer Insel, die Probleme und Sorgen der Bewohner:innen werden authentisch dargestellt. Ergänzend gibt es außerdem noch einzelne Auschnitte aus einem Tagebuch von früher, das Leonie liest. Eine Frau namens Ayda, die mit anderen Frauen zusammen Heringe ausnimmt und einer harten, täglichen Arbeit nachgeht. “Ich finde ein weiteres Foto von Ayda. Darauf sieht sie fröhlich und furchtlos aus, als könne sie es mit der ganzen Welt aufnehmen und nicht nur mit einer Ladung Heringe. Diese junge Frau war mutig und klug. Mit ihren vor hundertzehn Jahren geschriebenen Worten fordert sie mich auf, ihre Insel mit anderen Augen zu sehen.” (Zitat S.188) Faszinierend sind vor allem die Begegnungen mit dem Delfin, der in “Triff mich im tiefen Blau” immer wieder eine Rolle spielt: “Tam MacKinnon hat einen zahmen Delfin. Das ist so was von abgefahren, dass plötzlich mein ganzes inneres unter Strom steht. Das Tier dreht sich auf den Rücken und lässt sich von seinem Menschenfreund am Bauch streicheln.” (Zitat S.59) Es wird aber auch verdeutlicht, dass Delfine immer noch Wildtiere sind und auch gefährlich sein können. Und dass die scheinbare Kommunikation zwischen Tam und dem Delfin nur funktioniert, weil sie sich seit Jahren bereits kennen. Im hinteren Teil macht die Autorin an Spannung wieder einiges wett, hier überschlagen sich die Ereignisse geradezu und auch Tam wird wieder sympathischer. Das Ende ist schlüssig und passend.
Dir gefällt der Erzählstil von Antje Babendererde? Sie hat jede Menge Romane für Jugendliche geschrieben. Vor allem auf indigene Völker hat sie sich spezialisiert. Hier chronologisch sortiert nach Erscheinungsdatum: “Der Gesang der Orcas” (2003), “Lakota Moon” (2005), “Talitha Running Horse” (2005), “Libellensommer” (eines ihrer bekanntesten Bücher, 2006), “Zweiherz” (2007), “Die verborgene Seite des Mondes” (2007), “Indigosommer” (2009), “Rain Song” (2010). Dann erschien mal ein Buch ohne Bezug zu Native American, aber auch sehr spannend, welches in Thüringen spielt, der Heimat der Autorin: “Isegrim” (2013) Ebenso “Der Kuss des Raben” (2016) widmet sich ihren Thüringer Wurzeln. Mit “Wie die Sonne in der Nacht” (2018) und “Schneetänzer” (2019) kehrt Antje Babendererde wieder zurück zur Thematik der indigenen Völker. 2021 veröffentlichte sie noch “Sommer der blauen Wünsche”, ihr erster (unabhängig zu lesender) Schottland-Roman und 2022 den zweiten “Im Schatten des Fuchsmondes” (auch unabhängigig). Du magst Liebesgeschichten, die in Schottland spielen? Dann kann ich dir noch “By your side” von Beth Anne Miller empfehlen, oder die zweibändige Reihe von Jana Schäfer “The way we fall” (Band 1) und “The hope we find” (Band 2). Das Thema Umweltschutz findest du auch in diesen drei gelungenen Büchern: “Orcasommer” von Sabine Giebken, “Es war die Nachtigall” von Katrin Bongard und “Catching Feelings” von Kira Licht.
Bibliografische Angaben: Verlag: Arena ISBN: 978-3-401-60743-6 Erscheinungsdatum: 8.März 2024 Einbandart: Broschur Ausstattung: Erstauflage mit Farbschnitt Preis: 18,00€ Seitenzahl: 384
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