“Liebe sich, wer kann” ist der aktuelle Roman der deutschen Autorin Annette Mierswa, die sich stets mit hochaktuellen, brisanten Themen auseinandersetzt. In ihrem neuen Werk stellt sie einen Jungen in den Mittelpunkt, der unter Panikattacken leidet und es im Leben generell nicht allzu leicht hat. Er wird überraschend von einem Mädchen, die auch einiges zu verbergen hat, zu einer Wanderung eingeladen. Ein sommerliches Roadmovie, eine Coming-of-Age-Geschichte. Sensibel und trotzdem mit einer süffisanten Ironie erzählt. Ideal für Jugendliche, die auf der Suche nach ihrer inneren Mitte sind und lernen wollen zu sich selbst zu stehen. Besonders für Jungs ab 13 Jahren und für interessierte Erwachsene.
Jakob hat immer wieder Panikattacken. Einmal ist er sogar umgekippt, als ein Mädchen ihm sagte, dass er schöne Augen habe, sich dann aber herausstellte, dass sie ihn nur ärgern wollte. “Mein Puls verdreifachte sich und schlug Purzelbäume, mir blieb die Luft weg, als hätte jemand den Sauerstoff abgedreht. Und so sackte ich direkt vor den Mädchen auf den Boden, klappte meinen Mund auf und zu wie ein Fisch auf dem Trockenen und dachte, ich müsste sterben.” (Zitat aus “Liebe sich, wer kann” S.16) Oft wird er in der Schule von anderen geärgert und gedemütigt. Selbst seine Geschwister ziehen ihn auf. Er hat nicht das größte Selbstbewusstsein und seine Gedanken laufen manchmal Amok in ihm: “Es könnte sogar ganz furchtbar viel passieren. Zum Beispiel könnte Lotti mich für einen Schlappschwanz halten und mich nie mehr sehen wollen. Sie könnte denken, dass ich ein Irrer war und das den anderen erzählen, die mich dann fertigmachten. Sie könnte… STOPP!” (Zitat S.14) Vor allem eine verunsichert ihn enorm: Lotti, für die er ein bisschen schwärmt, und die kurz in ihre Klasse ging, ehe sie eine überspringen durfte. Denn Lotti lädt ihn ein, sie auf eine Wanderung zu begleiten. “Jakob. Hör mal. Ich weiß, das klingt jetzt wahrscheinlich völlig verrückt, aber… du bist meine letzte Hoffnung.” (Zitat S.14) Sie möchte zu einem Château wandern, um dort einen Erholungsurlaub zu machen, wie sie sagt, und ihre Mutter möchte nicht, dass sie alleine geht. Kurzerhand — und ohne sein Glück recht fassen zu können — sagt Jakob
zu. Doch manchmal ist Lotti ein wenig seltsam. “Du weißt nicht, wie wichtig mir diese Wanderung ist. Und ohne dich wäre nichts daraus geworden. Also, wenn ich mal irgendwie komisch sein sollte, umkehren will oder so, dann lass es nicht zu, ja? Schleif mich notfalls hinter dir her. Versprochen?” (Zitat S.29) Sie möchte auch nicht, dass sie sich irgendwie näher kommen. Das Zelt, das sie dabei haben, hat zwei große, getrennte Kammern. Und ab und zu ist sie in sich gekehrt oder läuft einfach traurig davon. Was ist der wahre Grund für ihren Roadtrip? Allmählich kommt Jakob ihrem Geheimnis näher…
Das Cover ist interessant gestaltet, tatsächlich finden sich Elemente auf den Bildern, die im Hintergrund abgebildet sind, auch in der Geschichte wieder. Diese ist durchgehend aus Jakobs Sicht in der Ich-Perspektive geschrieben. In einer lockereren, angenehmen Art, die mitunter auch mit viel Ironie aufwartet, berichtet er aus seinem Leben. Schon der erste Satz lässt einen munter in die Geschichte stolpern: “Es war 7Uhr morgens und ich fühlte mich scheiße.” (Zitat S.7) Die Panikattacken sind die eine Sache in seinem Alltag, die es ihm schwermachen, die andere ist vor allem fehlende Selbstliebe, ein großes Thema in “Liebe sich, wer kann”. Denn Jakob ist mit sich nicht wirklich zufrieden: “Leider war es nie gut, wenn ich zu viel Zeit zum Nachdenken hatte. Das führte eigentlich immer zu Schlussfolgerungen, die mich wie einen Idioten erscheinen ließen, der es nicht wer war, beachtet, geschweige denn geliebt zu werden. Ich hatte so eine Art innere To-do-Liste, die immer länger wurde. Es ging dabei ausnahmslos um Dinge, die ich an mir ändern musste.” (Zitat S.53) Er wünscht sich weniger Angst zu haben, mutiger zu sein und
mehr Gelassenheit zu entwickeln. Dass es ihm egal ist, was andere von ihm halten. Doch Jakob ist eben genau das Gegenteil, wurde zu oft gedemütigt und geärgert, um selbstbewusst zu sein. Das beginnt sich auf der Tour mit Lotti jedoch allmählich zu ändern und es ist schön zu beobachten, wie der an sich liebenswerte Kerl, ein wenig auftaut: “Ich bin Jakob.” So locker hatte ich das schon lange nicht mehr über die Lippen gebracht. Es war ja immerhin eine Kontaktaufnahme und bedeutete Gefahr. Wer meinen Namen kannte, konnte mich leichter fertigmachen. Dennoch empfand ich einen ungewohnten Gleichmut. Hier war ich wie ein weißes Blatt Papier, auf dem noch keinerlei Demütigungen standen.” (Zitat S.49ff) Die Wanderung verändert ihn. Lässt ihn aus sich herauskommen und tatsächlich mutiger werden. Diese Entwicklung hat Annette Mierswa in der Tat sehr authentisch dargestellt. Die beiden werden auch mit den unterschiedlichsten Situationen und Menschen konfrontiert, die sie dazu bewegen über ihr eigenes Leben nachzudenken, mitunter fast ein wenig philosophisch, aber auf jugend(sprach)lichen Niveau. Das Ende ist passend und versöhnlich und zeigt ein jeder hat sein Päckchen zu tragen, gemeinsam geht es aber oft leichter.
Dir gefällt Annette Mierswas Erzählstil? Dann lies unbedingt noch ihre anderen Bücher. Sehr gut gefielen mir “Instagirl” (Thema: Gefahren sozialer Netzwerke) und “Not your girl” (sexueller Missbrauch). Danach schrieb sie noch für Jugendliche “Wir sind die Flut” (Klimawandel). Wenn du ein Fan von Roadmovies bist, dann greif noch zu diesen gelungenen Büchern: “Tankstellenchips” von Antonia Michaelis, “Die Königinnen der Würstchen” von Clémentine Beauvais (so toll!), “Offline ist es nass, wenn’s regnet” von Jessi Kirby (klasse!) ‚“Morgen ist heute schon vorbei” von Clare Furniss, “Nichts zu verlieren. Außer uns.” von Lea Coplin (romantisch), “Glücksdrachenzeit” von Katrin Zipse (lohnt sich!) und “French Summer: A fucking great road trip” von Marian de Smet. Etwas neuer wäre noch “Marilu” von Tania Witte. Außerdem wären da noch “Zwei Wege in den Sommer” von Robert Habeck & Andrea Paluch, “Perfect escape” von Jennifer Brown, “Was ich weiß von dir” von Meg Rosoff (ein kluges Buch) und “Die wirkliche Wahrheit” von Dan Gemeinhart (tragisch und schön!) und “Ab ins Paradies” von Tobias Elsäßer, in welchem ebenfalls ein Junge und ein Mädchen während einer Reise aufeinandertreffen.
Bibliografische Angaben:Verlag: Loewe ISBN: 978-3-7432-1212-1 Erscheinungsdatum: 11.August 2021 Einbandart: Taschenbuch Preis: 6,95€ Seitenzahl: 240 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
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