Die deutsche Autorin Annette Mierswa hat neben einigen Kinderbüchern nun ihr erstes Jugendbuch geschrieben. In “Instagirl” setzt sie sich mit wichtigen Themen auseinander: der Suche nach Anerkennung in sozialen Netzwerken, der Veränderung des Schönheitsbildes und der gefährlichen Beeinflussung eines Mädchens durch eine falsche Freundschaft. Ein wichtiges und bewegend erzähltes Buch, das den Nerv der Zeit trifft und ideal für eine Buchvorstellung oder als Klassenlektüre ist. Für Jugendliche ab 13 Jahren und interessierte Erwachsene.
Hamburg. Das Leben der jungen Isabelle, die von ihren Freunden nur Isi genannt wird, steht seit dem Auszug ihres Vaters völlig auf dem Kopf. Während sie sich zuvor wegen der lautstarken Streitereien der Eltern regelmäßig mit Kopfhören, lauter Musik und meist Besuchen ihrer besten Freundin Yara aufs Dach verzogen hat, hilft nun auch das nicht mehr. Ihr Vater ist weg. Lebt jetzt in Tokio. Und ihre Mutter hat auch schon einen neuen Lover, der zudem noch gegen Isis geliebten Hasen allergisch ist. Alles zerbricht, und auch ihre Schwärmerei für ihren besten Freund Matteo erweist sich als Reinfall. Aus Frust probiert sich Isi an einem neuen Styling. “Ich steckte sie hoch und probierte die Schuhe an. […] Sie saßen perfekt. Und Perfektion war mein Ziel. Perfektion würde mir Halt geben. Das Make-up aufzutragen fühlte sich toll an, wie ein Maske, hinter der ich alles verstecken konnte, vielleicht sogar mein altes Leben.” (Zitat S.48) Isi will jemand anderes werden. Will alles vergessen, was war. Auch wenn ihre beste Freundin Yara von diesen optischen Veränderungen nicht unbedingt begeistert ist. Jedoch erhält Isi unerwartet Zuspruch und Unterstützung von der unnahbaren Kim, die erst seit Kurzem in ihrer Klasse ist: “Kim war eine Erscheinung. […] Sie sah aus wie ein YouTube-Star, der in unserer Klasse gestrandet war und eine Strafe absaß. Ihre Augenbrauen waren professionell gezupft und sie hatte so einen speziellen Blick, stechend und hart. Der ging durch und durch.” (Zitat S.8) Kim hat ein Tattoo und interessiert sich null für die Leute in ihrer Klasse. Meist hängst sie mit den Oberstufenschülern ab. Den Klassenchat ignoriert sie gekonnt. Die Lehrer speist sie mit zum Teil äußerst frechen Antworten ab. Und jetzt bietet Kim ihr Hilfe an. Gibt Isi Tipps, wie sie sich schminken, was sie anziehen kann. Und zeigt ihr, wie sie ihre Fotos auf Instagram bearbeiten und sich selbst besser in Szene setzen kann. Aber vor allem das Aussehen ist Kim superwichtig. “Alles um dich herum kann sich jederzeit auflösen — zum Beispiel deine Familie. Aber dein Körper bleibt. Er ist deine einzige Sicherheit. Und um von der Welt gesehen zu werden, musst du Aufmerksamkeit bekommen, Likes. Sonst existierst du praktisch nicht und niemand wird sich je an dich erinnern.” (Zitat S.51ff) Deshalb erstellt Kim Isi auch einen strengen Sport- und Ernährungsplan. Nimmt sie mit zu Partys, zu “ihren” Leuten. Immer mehr sondert sich Isi von der Klassengemeinschaft und ihrer besten Freundin Yara ab, die das Ganze mit größter Sorge betrachtet. Und Isi verliert immer mehr an Gewicht. Lässt sich von Kim mehr und mehr beeinflussen. Bis zu einer schicksalshaften Nacht…
Das Cover von “Instagirl” samt Titel sind sehr passend gewählt und ideal für die Zielgruppe. Der Roman ist durchgehend aus Isis Sicht in der Ich-Perspektive geschrieben und ist in einzelne Kapitel unterteilt. Im Grunde erzählt Isi ihre Geschichte rückblickend, was man an vereinzelten Andeutungen merkt wie zum Beispiel: “Wenn ich in diesem Moment geahnt hätte, was für eine Lawine sie damit lostrat, dann hätte ich die Reißleine gezogen. […] Stattdessen dackelte ich blind hinter ihr her wie ein Lemming und geradewegs auf den Abgrund zu…” (Zitat S.63) Dass etwas Schlimmes geschieht, das weiß man zu Anfang bereits. Was, noch nicht. Die Veränderung von Isi wird sehr glaubhaft und authentisch geschildert. Wie sie zunächst eigentlich als ein ganz “gewöhnliches” Mädchen herüberkommt, das mit Kim nicht viel gemeinsam hat: “Und schon äußerlich war sie das genaue Gegenteil von mir. Sie hatte langes glattes Haar, war größer als die meisten unserer Jungs und unglaublich dünn. Okay, ich war weder sehr klein noch dick. Ich war eher normal. Dazu meine rotblonden lockigen Haare und eine sehr helle Haut, die noch nie Make-up gesehen hatte. Ich schminkte mich nur dezent, genau wie Yara, meine beste Freundin…” (Zitat S.9) Doch Isis privaten Probleme, vor allem die Trennung ihrer Eltern, werfen sie völlig aus der Bahn. Wem folgen, wenn die Familie auseinanderbrecht? Wo Sicherheit und Geborgenheit finden, wenn das Elternhaus zerrüttet ist und der vermeintliche Traumprinz scheinbar kein Interesse an einem hat? Annette Mierswa spricht wichtige Themen an und zeigt wie leicht man sich in sozialen Netzwerken verlieren und den Körper als vermeintliches Mittel benutzen kann, um Kontrolle über etwas zu haben. Am Anfang war der Erzählstil manchmal noch etwas flapsig und trivial (“Matteo öffnete die Arme und lächelte. Er war so wunderschön.” (Zitat S.22)), die Dialoge teilweise etwas flach (“Du Huhn, rufst mich einfach nicht an.” “Bog bog bog.” Ich flatterte mit angewinkelten Armen. “Na, zum Glück geht es dir wieder besser.” “Besser? Als Huhn?” (Zitat S.27), aber das legt sich zum Glück schnell. Die Geschichte zieht rasch in einen Sog, dem man sich so schnell nicht mehr entziehen kann. Das Ende hält noch eine kleine Überraschung bereit. Jedoch hat mir noch inhaltlich in manchen Punkten im Nachhinein eine Erklärung gefehlt. ««««««ACHTUNG SPOILER:»»»»»» Was hatte diese Szene zwischen Lenny und Matteo zu bedeuten, die Isi beobachtet hat? Was wurde den Lehrern erzählt, die Kim anders behandelt haben? Und was wird aus Isis Familie? Hier erfährt man leider nichts mehr zu und muss selbst seine Schlüsse ziehen. ««««««ENDE SPOILER»»»»»»
Fazit: Trotz kleinen Mankos eine sehr unterhaltsame und gelungene Lektüre!
Eine der wohl besten Alternativen zu “Instagirl” ist wohl “Like me. Jeder Klick zählt.” von Thomas Feibel, in dem ebenfalls ein neues Mädchen in der Klasse großen Einfluss ausübt und zwei Jugendliche dazu animiert die verrücktesten Posts in einem sozial Netzwerk zu veröffentlichen. Etwas, was schließlich außer Kontrolle gerät. Oder lies “Likes sind dein Leben” von Ulrike Ruwisch und “Ich hab schon über 500 Freunde” von Armin Kaster. Die Gefahr von sozialen Netzwerken zeigt sich ebenfalls in folgenden Büchern: “Second face” und “For your eyes only” von Carolin Philipps. Ein schönes Sachbuch hat auch Siobhan Curham geschrieben: “True Face — Sei echt. Sei furchtlos. Sei du selbst”, das Jugendlichen Tipps gibt mit Schönheitsidealen und sozialen Netzwerken umzugehen. Wenn du die Geschichte eines Mädchens lesen möchtest, das sich durch eine Freundschaft verändert, dann greif doch zu “Love Alice” von Nataly Savina (toll!) oder “Spring in den Himmel” von Lotte Kinskofer (mitreißend!). Ein neues Buch von Annette Mierswa ist übrigens “Not your girl”, in dem sie einen wichtigen Beitrag zur “#Metoo-Bewegung leistet! Ebenfalls wieder richtig gut geschrieben.
Bibliografische Angaben: Verlag: Loewe ISBN: 978-3-7432-0121-7 Erscheinungsdatum: 17.September 2018 Einbandart: Broschur Preis: 6,95€ Seitenzahl: 224 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
Kasimiras Bewertung:
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