Die deutsche Autorin Anne Hoffmann hat einen Jugendroman geschrieben, der ein junges Mädchen in den Mittelpunkt setzt, das sich im letzten Schuljahr vor dem Abitur befindet und mit dem Erwartungsdruck nicht umgehen kann. Eine Geschichte über Panikattacken, über das Finden einer zarten Liebe und der Suche nach der eigenen, inneren Stärke. Behutsam und unterhaltsam erzählt. Für Jugendliche ab 13 Jahren und interessierte Erwachsene.
Eine Kleinstadt in Brandenburg. Ländliche Idylle. “Wir hatten nur eine einzige weiterführende Schule, der langsam die Schüler fehlten, weil jedes Jahr nach dem Abitur ein Teil der Einwohnerinnen und Einwohner ging und nicht wiederkehrte.” (Zitat aus “Es geht ja bloß um den Rest meines Lebens” S.40) Hier lebt die 17-jährige Elisa. Sie ist eher unscheinbar. Durchschnittlich. Unauffällig. Schreibt Fan-Fiction. Ihre Eltern sind beide Lehrer, ihre Mutter sogar Direktorin. Jetzt ist sie im letzten Schuljahr, hat das Abitur vor sich. Die Erwartungshaltung ihrer Eltern ist daher hoch: “Ich will, dass du dich in deinem letzten Schuljahr ein bisschen mehr zusammenreißt. Nicht mir zuliebe, sondern zu deinem eigenen Besten. Ich weiß, es nervt. Aber jetzt geht es um deine Zukunft.” (Zitat S.8) Als die ersten Vorprüfungen anstehen, hat Elisa plötzlich mitten in einer Klausur ein Blackout, bekommt eine Panikattacke: “Ich las die Aufgabe noch mal. Verstand den Sinn immer noch nicht. Ging weiter zur zweiten Aufgabe. Verstand auch die nicht. Holte tief Luft — und mit einem Mal, ohne Vorwarnung, war sie da: Angst. Keine normale Angst. Keine Scheiße-ich-bin-nicht-gut-vorbereitet-Angst. Sondern richtige Angst, existentielle Angst.” (Zitat S.13) Sie flüchtet aus dem Unterricht, versucht sich auf der Toilette wieder in den Griff zu bekommen. Und wird bei ihrer Panikattacke von einem Mitschüler “erwischt”. Denn sie hat versehentlich die Jungs- statt die Mädchentoilette genommen. “Er war kaum größer als ich, hatte blaue Augen und braune Locken, die ihm wirr auf die Stirn fielen. Seine Strickjacken-Jeans-Kombination erinnerte an den schüchternen Gitarristen einer Indie-Band. Wie viel hatte er gesehen? Und was dachte er? Nahm er mir die Geschichte mit dem Wasserhahn ab?” (Zitat S.15) Elisa weiß
nicht, ob Leo, den sie noch aus dem Zeltlager von früher kennt, ihre Notlüge von einem kaputten Wasserhahn geschluckt hat. Denn es darf auf keinen Fall herauskommen, was ihr passiert ist. Niemanden, nicht einmal ihrer besten Freundin Helena kann sie davon erzählen. Doch Elisa merkt, dass definitiv irgendetwas komisch ist mit ihr. Ihr Schlafrhythmus gerät völlig durcheinander, sie ist oft müde, hat auf Unternehmungen mit ihren Freunden keine Lust mehr und zieht sich lieber zurück. Sogar Silvester will sie lieber alleine verbringen. Aber dann trifft sie in jener Nacht ausgerechnet auf Leo und die beiden kommen einander unerwartet näher…
Das Cover wirkt simpel, aber der Titel ist absolut passend gewählt. Dieser fängt die Dramatik der Geschichte genau ein: “Heute, an diesem ekligen grauen Novembertag, begann das Vorabitur. Keine große Sache. Nur eine Übung fürs richtige Abitur. Das genauso wenig eine große Sache war. Bloß der Eintritt in den Rest meines Lebens. Ich spuckte schaumige Zahnpasta ins Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf und hatte plötzlich ein komisches Gefühl, so eine Enge in der Brust.” (Zitat S.8) Erzählt wird “Es geht ja bloß um den Rest meines Lebens” durchgehend aus Elisas Sicht in der Ich-Perspektive. Der Erzählton ist sehr flüssig und angenehm. Die Situation des Mädchens wird sehr verständlich und mit einer teils schönen Ironie geschildert: “Es war nass und kalt, und ich verfluchte meine Freunde dafür, dass sie rausgehen und etwas erleben wollten. Ich wollte nichts erleben, im Gegenteil, ich brauchte nicht noch mehr Input für meinen vollen Kopf, ich brauchte Ruhe. Vielleicht für ein paar Jahrzehnte.” (Zitat S.40ff) Während das Hauptaugenmerk noch anfangs
auf der Überforderung und der Panikattacken liegt, gerät dies leider allmählich etwas in den Hintergrund. Das hat mir in der Geschichte manchmal wirklich etwas gefehlt, die ausführliche Beschreibung ihrer körperlichen/geistigen Veränderungen. Manches wirkt ein wenig an der Oberfläche gehalten beziehungsweise wird von anderen Themen überlagert. Das Ende ist passend und bietet eine Lösung für die Protagonistin an und auch für den Leser, der im Anhang Möglichkeiten erhält sich in einem ähnlichen Fall Hilfe zu holen.
Ein weiteres Buch, an dem Anne Hoffmann mitgewirkt hat, ist die Neuerscheinung “Love — Fünf Geschichten über die Liebe”. Ein Roman, der mich sehr mitgerissen hat und der eine ähnliche Überforderung schildert, ist “Graue Wolken im Kopf” von Juliane Breinl. Hier wird das Augenmerk besonders auf die Krankheit der Protagonistin gelegt. Eine sehr gute Alternative ist zudem “Alles. Nichts. Und ganz viel dazwischen” von Ava Reed. In diesem Roman steht die Hauptfigur auch vor dem Abitur und bekommt mitten in einer Klausur eine Panikattacke. Bücher über Panikattacken sind im Jugendbuch bisher noch recht überschaubar: “Verrückt vor Angst” von Jana Frey, “Klippen springen” von Claire Zorn (bewegend!) und “Schau mir in die Augen, Audrey” von Sophie Kinsella. Ein Junge, der das Haus aufgrund von Ängsten nicht mehr verlassen hat, das findest du in “Hochgradig unlogisches Verhalten” von John Corey Whaley und in dem brillanten “Born scared” von Kevin Brooks. Sehr gelungen fand ich außerdem “Mein Sommer auf dem Mond” von Adriana Popescu, in welchem sich ein paar Jugendliche in einer psychiatrischen Einrichtung ihren Problemen stellen müssen (u.a. auch ein Mädchen mit einer Angststörung). Romane über Depressionen gibt es im Jugendbuch einige. Wie zum Beispiel “Schwarze Zeit” von Jana Frey (sehr flüssig geschrieben), “Was uns bleibt ist jetzt” von Meg Wolitzer und “Mein Herz und andere schwarze Löcher” von Jasmine Warga.
Bibliografische Angaben:Verlag: Magellan ISBN: 978-3-7348-5055-4 Erscheinungsdatum: 13.Juli 2021 Einbandart: Hardcover Preis: 17,00€ Seitenzahl: 288 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: -
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