Die Stuttgarter Autorin Angela Mohr zeigt mit ihrem neuen Roman “Zwei Tage, zwei Nächte und die Wahrheit über Seifenblasen”, dass sie auch anders kann: Abseits knallharter Realitythemen (wie Mobbing, Organspende, Sekte) wagt sie sich diesmal an eine zarte Liebesgeschichte. Zwei Menschen auf der Flucht vor den unterschiedlichsten Dingen treffen zusammen. Eine Begegnung, die alles verändert. Gefühlvoll und flott erzählt. Für Jugendliche ab 14 Jahren und interessierte Erwachsene.
Schnell rennen, das kann der 16-jährige Nik. Schulden machen, darin ist er auch nicht schlecht. Nur das mit dem Zurückzahlen klappt leider nicht so gut. Deshalb sind seine Schuldner ihm auch stets dicht auf den Fersen. “Ich renne. Wer auch immer hinter mir her ist, rennt mit, ich spüre jedenfalls seine Schritte, obwohl ich nichts höre außer meinem klopfenden Herzen und der unaufhörlich schrillenden Sirene in meinem Hirn, die mir den letzten Nerv raubt.” (Zitat aus “Zwei Tage, zwei Nächte und die Wahrheit über Seifenblasen” S.8) In letzter Sekunde schafft Nik es in einen abfahrenden Zug. Seinen Verfolger hat er abgeschüttelt, dafür gerät er jedoch ins Visier eines Kontrolleurs. Überraschenderweise nimmt ihn ein ihm fremdes Mädchen mit auf ihre Fahrkarte. Die 18-jährige Aino spricht nicht mehr, und sie will eigentlich auch mit Nik nichts zu tun haben. Denn eigentlich will sie nur in ein Kloster, um dort für immer schweigen zu können. “Du bist sehr jung, haben sie geschrieben. Wenn Sie mich sehen, werden Sie feststellen, dass das Alter nicht entscheidend ist. Alles hat seinen Preis, auch die Stille. Wenn ich erst mal dort bin, werden sie mich nicht einfach wieder wegschicken können.” (Zitat S.16) Nik, der noch nie einem so schweigsamen Mädchen begegnet ist, versucht ihre Wortleere mit den seinen zu füllen, und davon hat er viele. Als sie unerwartet auf einem abgelegenen Bahnhof im Odenwald stranden, weil eine Oberleitung beschädigt ist, verbringen sie eine Nacht in einem alten Bahnhofsgebäude. Aino auf einer Bank, Nik auf ihrer Isomatte. Mit einem Block, auf den Aino schreibt, kommunizieren sie. Und so erfährt Nik schließlich, was Aino vor hat.
“Sorry”, sage ich, “ich habe noch nie jemanden getroffen, der Nonne werden will. Das ist echt — ich meine, du verpasst doch so viele Sachen! Alles, was Spaß macht, was das Leben lustig macht und so.” […] Aino greift nach dem Block. Was verpasse ich denn?” (Zitat S.70). Und so schließen die beiden einen Pakt: Nik erhält zwei Tage und zwei Nächte Zeit ihr zu beweisen, was sie seiner Meinung nach im Leben verpassen wird, dafür zeigt sie ihn nicht an, weil er nachts ihren wertvollen Halsanhänger an sich genommen hat, um ihm zu Geld zu machen. Und sie verrät ihm, warum sie ins Kloster gehen will. Dieser Pakt verändert alles…
“Zwei Tage, zwei Nächte und die Wahrheit über Seifenblasen” wartet mit einem schön romantischen Cover auf, der Titel passt ebenso dazu. Eine neue Zielgruppe ansprechen? Warum nicht. Wobei sich ernste Themen auch in die Liebesgeschichte einschleichen, somit ist ein bisschen Reality-Zündstoff doch gewahrt;-) Ein Mädchen, das ins Kloster gehen möchte. Ein Mädchen, das sich bewusst dazu entscheidet nicht mehr sprechen zu wollen: “Es ist friedlich. Plötzlich fühle ich: Ich muss nie wieder etwas sagen. Diese Erkenntnis, dieses Glück: nie wieder sprechen. Nik springt auf. Nik setzt sich in. Warum macht er ständig solchen Radau? Ich plappert in einem fort und kann nicht still sitzen.” (Zitat S.45) Ein ungleiches Paar, und trotz einseitiger Monologe, die hauptsächlich Nik führt (da Aino ihm ja nicht antwortet), ist die Geschichte dennoch durchweg interessant. Ein flottes Erzähltempo, einige turbulente, actionreiche Momente — leichte Unterhaltung auf einem angenehmen Niveau. Der Roman wird abwechselnd aus Niks und Ainos Sicht in der Ich-Perspektive erzählt. Zwei ungewohnte Stilmittel werden hier verwendet, die zu nächst etwas befremdlich wirken: Niks Handeln und Denken wird sehr metaphorisch erklärt: “Wo andere Synapsen und Gehirnbahnen hinter der Schädeldecke haben, existiert bei mir nur ein Schaltpult mit verschiedenfarbigen Knöpfen. Die meisten sind rot. Und wenn der Captain des Schiffes irgendwo draufdrückt, reagiere ich und tue, was er will.” (Zitat S.7) und “Ich haste ins Bahnhofsgebäude und bin froh, dass der Captain noch so viel Geistesgegenwart besitzt, auf die Anzeigetafel zu gucken.” (Zitat S.8) Personifziertes Denken — so etwas, habe ich bisher auch noch in keinem Roman gelesen! Aber zu Niks etwas verpeilten Art passt das ganz gut (und wird gegen Ende auch erklärt). Seine (Erzähl-)Sprache ist flott und
frech. Bei Aino werden unangenehme Situationen rasch übergeblendet vom Sinnieren über (sprach-)geschichtliche Fakten fremder Kulturen und der zunächst etwas unklaren Geschichte eines Altaikriegers, die sie erzählt. Auch finden sich nur in ihren Kapiteln Überschriften, die nur aus einem Wort bestehen. Ihre Perspektive wird in vielen kurzen Sätzen erzählt, die mal bedächtiger, mal aber auch panischer, aber immer ein wenig poetisch wirken. Vor welchem Schmerz flüchtet sie? Diese Frage zieht sich durch das ganze Buch. “Ich drücke mit der Hand auf den Anhänger. Er gräbt sich schmerzhaft in mein Brustbein. Ich will nicht mehr, dass etwas wehtut.” (Zitat S.25) Allmählich kommen sowohl der Leser als auch Nik hinter ihr Geheimnis… Und man begreift, vor manchen Dingen kann man nicht wegrennen. Manchmal muss man sich ihnen stellen, um weiterleben zu können.
Interessant: Auf Angela Mohrs Homepage gibt es eine Fotostrecke mit den Originalschauplätzen des Romans, der vom Mannheimer Hauptbahnhof über Neckarhausen, Eberbach, Neckargerach, Waldkatzenbach, über die Gaimühle bis hin zum Unteren Höllgrund führt. Das Stottern, das Aino zunächst verbirgt, kennt die Autorin übrigens auch. Mehr darüber findest du auch auf ihrer Homepage.
Wenn dir Angela Mohrs Erzählstil gefällt, kannst du auch noch andere Bücher von ihr lesen. Am besten finde ich nach wie vor ihr erstes Buch “Wach auf, wenn du dich traust”, das die Themen Mobbing und Zivilcourage behandelt. Danach erschien “Vergiss nicht, dass du tot bist” (Thema: Organspende), das ich nicht ganz so stark fand. Wieder gelungen ist “Ada. Im Anfang war die Finsternis”, in dem die Autorin auch ihre eigenen Erfahrungen in einer Sekte verarbeitet. Wenn du etwas lesen möchtest, in dem ein Mädchen beschlossen hat zu schweigen, dann greif zu “Schweigen ist Goldfisch” von Annabel Pitcher oder “Speechless” von Hannah Harrington. Ein Junge und ein Mädchen, die mit unterschiedlichsten Problemen aufeinandertreffen, kannst du auch in diesen Romanen entdecken: “Wenn du mich küsst” von Juliana Stone (toll!) und “Sternschnuppenträume” von Julie Leuze. Von einem besonderen Pakt erzählt “Almost” von Anne Eliot (klasse!).
Bibliografische Angaben:Verlag: Arena ISBN: 978-3-401-60122-9 Erscheinungsdatum: 1.Juli 2016 Einbandart: Broschur Preis: 12,99€ Seitenzahl: 312 Übersetzer: - Originaltitel: - Originalverlag: - Originalcover: - Trailer zum Buch:
Kasimiras Bewertung:
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