“More happy than not” ist das vierte Buch des amerikanischen Bestsellerautoren Adam Silvera, das im Deutschen erscheint, aber tatsächlich eigentlich sein Debütroman. Der Autor, der mit seinem Buch “Am Ende sterben wir sowieso” international großen Erfolg feierte, erzählt hier die Geschichte eines Jungen, der mit den Höhen und Tiefen des Erwachsenwerdens klarkommen muss und auf eine von einem Institut angebotene Möglichkeit stößt, unliebsame Erinnerungen auszulöschen. Doch lassen sich Gefühle wirklich für immer ausschalten? Ein Roman über das Vergessen, über Verlust, Liebe und die Suche nach der eigenen (sexuellen) Identität. Eine Geschichte, die sich erst allmählich entfaltet und sehr auf alltägliche Besonderheiten konzentriert, dann aber umso intensiver und emotionaler wird und mit überraschenden Wendungen aufwartet. Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.
Im Leben des 16-jährigen Adam geht gerade alles drunter und drüber. Sein Vater hat sich vor ein paar Monaten das Leben genommen und auch Adam hat einen Suizidversuch hinter sich. “Ich dachte die ganze Zeit, dass ich ihm kein guter Sohn war, und meine Mom war fest davon überzeugt, dass er sich umgebracht hat, weil er unglücklich war, und das hat mich irgendwie auf die Idee gebracht, ich wäre auch glücklicher, wenn ich tot wäre […] Wahrscheinlich war’s eine Art Hilferuf, weil ich nicht mehr weiterwusste.” (Zitat aus “More happy than not” S.71) Doch jetzt hat sich Adam wieder gefangen, auch wenn sich die Freundschaft zu seinem besten Freund Brendan durch die Ereignisse irgendwie verändert hat. “Er redet nie viel, deshalb ist er auch nur mein fast-bester Freund. Ein echter Freund würde einem mit richtig vielen Worten klarmachen, dass das Leben doch irgendwie schön ist, wenn man drüber nachdenkt, es zu beenden. Stattdessen ist er auf Abstand gegangen, weil er sich verpflichtet fühlt mit den anderen Schwarzen Kids abzuhängen” (Zitat S.16) Mit den anderen Leuten seiner Clique kann Adam nicht wirklich über seine Gefühle sprechen. Doch er hat Genevieve, mit der vor Kurzem erst sein erstes Mal erlebt hat. Genevieve, die Künstlerin und die immer für ihn da ist. “Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst mich. Ihre grünen Augen glänzen feucht. Sie erinnern mich an das Regenwaldbild, das sie vor ein paar Monaten gemalt und dann abgebrochen hat.” (Zitat S.22) Doch nun fährt sie in ein Kunstcamp und Adam ist allein mit sich und seinen oft verwirrenden Empfindungen. Er wohnt mit seiner Mutter und seinem Bruder Eric auf engstem Raum in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, m
uss sich mit Eric ein Zimmer teilen. Geld haben sie nie genug. Adam liest gerne Comics und zeichnet auch. Nur seit dem Tod des Vaters nichts mehr so viel. Aber dann lernt er Thomas kennen. Thomas, der regelmäßig Dinge abbricht und hinschmeißt. Der mit seiner Freundin soeben Schluss gemacht hat, auch wenn Adam schwören könnte, dass Thomas eigentlich schwul ist. Der ihm zuhört und mit dem er tatsächlich über alles reden kann. Doch dann entwickelt Adam plötzlich Gefühle für Thomas und das stellt alles ziemlich auf den Kopf. Bald kommt Adam ordentlich ins Grübeln. Soll er tatsächlich das Angebot des Leteo-Instituts annehmen und sich einem Eingriff unterziehen, bei dem er unliebsame Erinnerungen vollständig löschen kann? “Der Leteo-Eingriff ist offenbar doch kein Fake. Als ich das Plakat in der U‑Bahn zum ersten Mal sah, dachte ich, es wäre Werbung für irgende
inen Science-Fiction-Film und kein echtes Institut, das einem beim Vergessen hilft.” (Zitat S.13) Aber manche Eingriffe gehen nicht gut aus, hat er schon gehört. Und kann man Gefühle tatsächlich komplett auslöschen? Geht das überhaupt?
Das Cover ist auffällig und interessant gestaltet. Das regenbogenfarbene T‑Shirt-Täschen deutet bereits das Thema Diversität an. Der Roman wird durchgehend aus Adams Sicht in der Ich-Perspektive erzählt und ist in Kapitel unterteilt, die mit unterschiedlichsten Smiley-Gesichtern eingeleitet werden. Der Roman ist in einem lässigen, lockeren Erzählstil geschrieben, hat einen teils fast sarkastischen, lapidaren, aber auch vom Leben gezeichneten Tonfall: “Ich klopfe an die Schlafzimmertür, aber sie reagiert nicht. Nur der Fernseher ist zu hören. Wenn dein einziger noch lebender Elternteil nicht reagiert, musst du automatisch daran denken, dass dein Vater tot in der Badewanne gefunden wurde — und an die Möglichkeit, dass hinter der Tür ein Leben als Waise wartet. Ich gehe rein.” (Zitat S.17) Adams Leben wird in all seinen Facetten geschildert. Vor allem das Zusammensein mit seiner Clique wird oft thematisiert. Mitunter derberer Jugendsprache darf man hier rechnen: “Brendan rotzt ins Waschbecken, in dem das gelbe Wasser bis zum Rand steht. “Du hast mir immer noch nicht von Genevieves Titten erzählt.” “Da kannst du lange warten.” (Zitat S.47) Die erste Hälfte des Buches zieht sich leider ziemlich. Ich war wirklich äußerst neugierig gewesen, endlich mal etwas von dem hochgelobten Autoren zu lesen und war anfänglich dann doch etwas enttäuscht. Manches ertrinkt förmlich in einem Sumpf von alltäglichen Banalitäten: Kinobesuche, Comiclädenbesuche, immer wieder Spiele wie “Treibjagd” oder “Selbstmord”, die die Jugendlichen draußen spielen und die ausführlich beschrieben werden. Es passiert einfach nicht viel. Dazu sind manche Freunde
von Adama auch echt strange und wirken als Figuren höchst unsympathisch: “Sein richtiger Name ist übrigens auch Dave, ohne Witz. Aber nach diesem irren Stunt und nachdem er mal aus Spaß einem verletzten Vogel die Flügel abgeschnitten hat, nennt er sich Me-Crazy. Wir können froh sein, dass er uns mag. […] Achtung, Crazy-Modus. Wenn er so drauf ist, legt er dich über seine Schulter, benutzt dich als Rammbock und donnert dich gegen Autos, Wände, was gerade da ist.” (Zitat S.47) oder Skinny-Dave: “Er tritt von einem Fuß auf den anderen, als müsste er mal pissen, was gut sein kann, weil er es sich gerne zu lange verkneift, bis er in irgendeinem Treppenhaus einen richtig schönen Strahl loslassen kann. Komischer Typ.” (Zitat S.130ff) Dennoch ist die Grundidee sehr gelungen. Die Tatsache, dass es ein Institut gibt, das Menschen die Möglichkeit gibt, Dinge, die schlimm oder traumatisch waren, auslöschen zu lassen. Denn sie regt zu einigen Überlegungen an. Was wäre das Leben ohne schlechte Erfahrungen? Prägen sie
eine Menschen nicht genauso und lassen einen sich weiterentwickeln zu einem Menschen, der man ohne sie nicht wäre? Ähnlich sieht es Thomas: “Ich hab nichts, was ich vergessen will. Und selbst wenn, würde ich es nicht machen”, sagt Thomas. “Nichts geschieht ohne Grund, selbst wenn Väter dich anlügen oder dich verlassen. Zeit heilt alle Wunden, und wenn dich irgendwas aus der Bahn wirft, geht es dir irgendwann auch wieder gut.” (Zitat S.118) Auch Adam ist ähnlicher Meinung, bis er aufgrund gewisser Ereignisse dazu kommt, seine Ansichten zu verändern und bereit ist den Eingriff zu wagen. “More happy than not” nimmt an einer Stelle eine interessante Wendung, die alles noch einmal auf den Kopf stellt und auch meinen Leseeindruck revidierte, den ich mir vom Buch zunächst gemacht hatte. Dinge, die am Anfang belanglos erscheinen (nicht alle, aber einige), ergeben plötzlich einen ganz anderen Sinn. Und ab da ist das Buch
dann wieder richtig lesenswert und mitreißend und höchst emotional geworden. Überrascht mit klugen Einsichten und Wandlungen der Protagonisten. Sätzen, wie diesem hier beispielsweise: “Ich glaube, es ist voll okay, wenn du noch nicht genau weißt, was du mal machen willst, Thomas. Wir sind jung und planlos, aber deswegen ist unser Leben doch nicht scheiße.” (Zitat S.172) Eine Lektüre, die sich lohnt, gewissermaßen Liebe auf den zweiten Blick;-)
Dir gefällt Adam Silveras Erzählstil? Dann lies noch seine anderen Bücher. Allen voran seinen Bestseller “Am Ende sterben wir sowieso” (sein dritter Roman, aber sein erstes Buch, das ins Deutsche übersetzt wurde), hiervon erscheint im November noch die Vorgeschichte “Die Ersten, die am Ende sterben”. Dann gibt es noch “Was mir von dir bleibt”. Zusammen mit Becky Albertalli schrieb er die Reihe “Was ist mit uns” (Band 1) und “Auf das mit uns” (Band 2, erscheint im August 2022). Erinnerungen, die gelöscht werden? Das hat mich sofort an “Du wirst vergessen” von Suzanne Young erinnert. Aber auch “Boy 7” von Mirjam Mous und “Gelöscht” von Teri Terry könnten hier eine Lesealternative für dich sein. Ein paar Parallelen hat tatsächlich auch “Game Changer” von Neal Shusterman. Das zu sich selbst stehen und mit seiner sexuellen Identität umzugehen, lernt auch der Protagonist in dem überaus berührenden “Love, Simon/Nur drei Worte” von Becky Albertalli und dem grandiosen “Birthday — Eine Liebesgeschichte” von Meredith Russo, das aktuell für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert ist.
Bibliografische Angaben:Verlag: Arctis ISBN: 978-3-0388-0058-3 Erscheinungsdatum: 16.März 2022 Einbandart: Hardcover Preis: 18,00€ Seitenzahl: 368 Übersetzer: Lisa Kögeböhn Originaltitel: "More happy than not" Originalverlag: Soho Teen Amerikanisches Originalcover:
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(4 von 5 möglichen Punkten)
--------------------------------------------- Amerikanisches Cover: Homepage von Adam Silvera