Marcin Szczygielski — Flügel aus Papier

Marcin Szczygielski Flügel aus Papier26.August 2017

Flü­gel aus Papier” des pol­ni­schen Autoren Mar­cin Szc­zy­giel­ski ist ein Kin­der­buch, das den Holo­caust zum The­ma macht und des­sen Haupt­fi­gur tat­säch­lich exis­tiert hat, auch wenn der Autor noch ein wenig sei­ne Fan­ta­sie hat spie­len las­sen. Ein bewe­gen­der Roman über das Leben in einem pol­ni­schen Ghet­to, einen Groß­va­ter, der für sei­nen Enkel alles tut, Freund­schaft und Mensch­lich­keit. Jetzt neu als Taschen­buch erschie­nen. Für Kin­der ab 10 Jah­re und Erwachsene.

1942. Der 8‑jährige Rafal lebt mit sei­nem Groß­va­ter in War­schau. In einem Ghet­to. Und das schon seit eini­ger Zeit. Sei­ne Eltern sind nach Afri­ka aus­ge­wan­dert, um dort ein Haus zu bau­en. Sie woll­ten Geld schi­cken, damit Rafal und sein Groß­va­ter nach­kom­men könn­ten. Doch dann kam der Krieg dazwi­schen. Anfangs kamen noch Brie­fe. Spä­ter hat man die Post nicht mehr in das Ghet­to hin­ein­ge­las­sen. “Mir kommt es so vor, als habe ich schon immer hier gelebt. Als wäre der Bezirk schon immer da, als gebe es schon immer zu wenig zu essen und zu vie­le Men­schen. Als wäre schon immer Krieg und als dür­fe man unter kei­nen Umstän­den ver­ges­sen, sich zu fürch­ten, selbst wenn man gar kei­ne Angst hat.” (Zitat aus “Flü­gel aus Papier” Sei­te 28). Rafals Groß­va­ter, der frü­her ein sehr bekann­ter Gei­ger war, spielt oft auf der Stra­ße, um ihnen den Lebens­un­ter­halt zu sichern. Sei­ne Gei­ge ist sehr wert­voll, sie ist der kost­bars­te Gegen­stand, den er noch hat. Ein­mal woll­te sie ihm jemand für viel Geld abkau­fen, aber Rafals Groß­va­ter hat abge­lehnt. Jetzt möch­te er, dass sein Enkel “in die Feri­en fährt”. Außer­halb des Ghet­tos soll er bei einer Frau unter­kom­men, auf einem Bau­ern­hof. Rafal wer­den die Haa­re gebleicht, damit er anders aus­sieht. Marcin Szczygielski - Flügel aus PapierEr muss sich eine Geschich­te mer­ken, wo er eigent­lich her­kommt. Dabei möch­te er eigent­lich bei sei­nem Groß­va­ter blei­ben. Eine Frau namens Stel­la führt ihn schließ­lich auf ver­schlun­ge­nen Wegen auf die ande­re Sei­te. Der Preis dafür: Groß­va­ters Gei­ge… Doch etwas geht schief und der Bau­ern­hof, auf dem Rafal woh­nen soll­te, kommt als Blei­be für ihn nicht mehr in Fra­ge. Stel­la bringt ihn in einen gehei­men Kel­ler unter einem Zebra­ge­he­ge in einen ehe­ma­li­gen Zoo. Aber obwohl sie ver­spro­chen hat wie­der­zu­kom­men, taucht sie ein­fach nicht mehr auf und Rafal bekommt auch noch hohes Fieber…

Flü­gel aus Papier” ist durch­ge­hend aus Rafals Sicht in der Ich-Per­spek­ti­ve geschrie­ben. Die ers­ten paar Sei­ten des Romans fand ich ein biss­chen zäh für den Anfang eines Buches, als Rafal auch wirk­lich jede Stra­ße und jede wich­ti­ge Sta­ti­on auf sei­nem Weg in die Biblio­thek beschreibt. Doch die Aus­dau­er lohnt sich, folgt man den Gedan­ken­gän­gen des Jun­gen: “Es soll ein­mal gar nicht so wich­tig gewe­sen sein, wo jemand her­kam, son­dern es zähl­te nur, was er für ein Mensch war. Jeder wohn­te, wo es ihm gefiel, ganz egal, wie er hieß, wor­an er glaub­te oder wel­che Far­be sei­ne Haut, sei­ne Haa­re oder sei­ne Augen hat­ten.” (S. 27) Es ist erschre­ckend zu lesen, dass Rafal nur die­se eine Zeit kennt. Und es ist bemer­kens­wert wie sein Groß­va­ter ihn vor den Bedro­hun­gen des Krie­ges zu schüt­zen ver­such­te: “…ich hat­te über­haupt kei­ne Angst vor Ihnen [den Bom­ben]. Groß­va­ter nahm mich mit in den Kel­ler, aber er sag­te, das wäre ein Spiel, und er lach­te, also lach­te ich auch. Wenn in der Nähe eine Bom­be ein­schlug, alles erzit­ter­te und es von der Kel­ler­de­cke rie­sel­te, sag­te Groß­va­ter, die Rie­sen spiel­ten Ball und es sei wahr­haf­tig ein Kreuz mit ihnen.” (S. 2728).
Marcin Szczygielski - Flügel aus PapierRafal liebt das Lesen und als Leser folgt man ihm auf sei­nem Weg zur Biblio­thek, ein High­light für den Jun­gen. Dort gibt die Biblio­the­ka­rin dem Jun­gen, der schon Jules Ver­ne liest und auch rich­tig dicke Schmö­ker, ein ganz neu­es Buch: “Die Zeit­ma­schi­ne” von H.G. Wells. Die­ses Buch wird Rafal für immer prä­gen. Denn er ver­knüpft gedank­lich die Welt H.G. Wells, in der die schö­nen Eloi und die bösen Mor­lo­cken leben, wel­che Ers­te­re nur züch­ten, um sie dann zu fres­sen, mit der Jetzt-Zeit. Für ihn sind er und die Men­schen, die in dem Ghet­to leben die Eloi und die Mor­lo­cken sind die deut­schen Sol­da­ten und SS-Män­ner. So schafft es Rafal sogar sei­ne beängs­ti­gen­de Flucht aus dem Bezirk mit ganz ande­ren Augen zu sehen. Er stellt sich vor, er sei selbst in einer Zeit­ma­schi­ne unter­wegs und auf einer span­nen­den Expe­di­ti­on. Und da gibt es eini­ge Din­ge “außer­halb”, die er noch nie gese­hen hat. Ob es nun Zucker­wat­te ist oder einen gro­ßen Fluss, über den er mit Stel­la geht. In dem Zoo fin­det er schließ­lich auch zwei Freun­de, die sich um ihn küm­mern und mit denen er gemein­sam den gefähr­li­chen All­tag besteht. Das Ende zeigt eine raf­fi­nier­te Wen­dung und — ein Hap­py­end. Es ist zugleich ein Plä­doy­er dafür nicht zu ver­ges­sen, was gesche­hen ist, um zu ver­hin­dern, dass so etwas Schreck­li­ches erneut geschieht. Im Nach­wort stellt die ers­te Lese­rin des Buches (ein Kind) Fra­gen an den Autor über die Geschich­te, was sehr lehr­reich und infor­ma­tiv für jün­ge­re Leser ist.

LesealternativenWenn dir “Flü­gel aus Papier” gefal­len hat, kannst du noch “Der Jun­ge im gestreif­ten Pyja­ma” von John Boy­ne (ab 12) lesen, ein Klas­si­ker über den Holo­caust. Wobei die Sicht des jenes neun­jäh­ri­gen Jun­gen noch nai­ver ist ange­sichts des Schre­ckens jener Zeit als Rafals. Eine inhalt­lich pas­sen­de Alter­na­ti­ve wäre auch die Ein­mal” von Mor­ris Gleit­zman, in des­sen Buch ein neun­jäh­ri­ger eben­falls pol­ni­scher Jun­ge, der Jude ist mit den Schre­cken im Jah­re 1942 umge­hen muss. Hier­bei gibt es zwei Fort­set­zun­gen: Dann” und Jetzt” (alle drei Titel ab 11). Sehr bewe­gend fand ich eben­falls Der Klang der Hoff­nung” von Suzy Zail (ab 13) und Ich habe den Todes­en­gel über­lebt” von Eva Mozes Kor und Lisa Roja­ny Buc­cie­ri (ab 12).

Bibliografische Angaben:
Schilder was wo wer wannVerlag: Fischer Sauerländer
ISBN: 978-3-7335-0127-3
Erscheinungsdatum: 24.August 2017
Einbandart: Taschenbuch
Preis: 7,99€ 
Seitenzahl: 288 
Übersetzer: Thomas Weiler
Originaltitel: "Arka czasu czyli wielka 
Rafala od kiedys przez wtedy do teraz i wstecz" 
Originalverlag: Stentor

Polnisches Originalcover:
Marcin Szczygielski - Flügel aus Papier











Deutsches Originalcover:
Marcin Szczygielski - Flügel aus Papier

Kasimiras Bewertung:

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(5 von 5 mög­li­chen Punkten)

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Polnisches Cover: Homepage von Stentor

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