Der dänische Autor Louis Jensen hat mit “33 Cent um ein Leben zu retten” einen Roman geschrieben, von dem man definitv sagen kann: dieses Buch musste geschrieben werden! Eine Geschichte über ehrliches Mitgefühl, ausufernde Selbstlosigkeit und Gerechtigkeit. Bewegend, radikal und aufrüttelnd. Nicht nur für Jugendliche ab 14, sondern auch (und besonders!) für Erwachsene.
Es braucht genau 33 Cent, um den Hunger eines Kindes in Afrika einen Tag lang zu stillen. Lediglich 33 Cent. Das erfährt der 14-jährige, dänische Ich-Erzähler des Buches, dessen Name nicht genannt wird, in der Schule. Das verändert sein Leben. Er beschließt für Gerechtigkeit zu sorgen. Wenn die Erwachsenen das schon nicht hinkriegen, dann eben er. Er trifft eine neue Regelung, die ihm gestattet nur noch jeden zweiten Tag in die Schule zu gehen. Seine Lehrer finden das nicht gut, bewirken aber nichts. Der Rektor fordert ihn ebenfalls zum Gespräch: “Was ist los?”, fragte er. “Weil die sterben, deshalb”, sagte ich (Zitat aus “33 Cent um ein Leben zu retten). Und er muss zum Schulpsychologen. Der Junge richtet eine KHK ein, eine Kasse für hungernde Kinder. Dort hinein kommt sein Taschengeld. Doch das reicht nicht. Er fängt an in einem Supermarkt zu jobben. Doch das reicht nicht. Er beginnt Kleidung zu stehlen und weiterzuverkaufen. Er sammelt Spenden auf der Straße, in der Schulklasse, bei seiner Großmutter. Sogar seine Schwester, die in einer rosa Barbie- und Legoschlösserwelt lebt, gibt ihm die Hälfte ihres Taschengeldes. Aber auch das reicht nicht. Er verkauft all seine Kleidung, so dass ihm nur ein Paar Schuhe, eine Hose, ein Unterhemd, eine Unterhose, ein Paar Socken und ein halber Schlips übrig bleiben. Und dann macht er das Unvorstellbare: er klaut einen Kühlwagen des Supermarktes und fährt mit all der darin sich befindlichen Ware und seiner neuen und ersten Freundin Anne nach Afrika…
Der Roman ist in einer sehr klaren und leichten Sprache geschrieben, die gerade durch seine Schlichtheit inhaltlich noch umso intensiver wirkt. Unterschwellige Ironie findet sich zwischen den Zeilen, als der Junge nach seinen Diebstählen zum Beispiel verkündet: “Heute haben ich und das Kaufhaus Magasin fünf Kündern das Leben gerettet. Gestern half H&M. Wir retteten drei Kindern das Leben.” (Zitat aus “33 Cent um ein Leben zu retten”)
Viele literarische Verweise beispielsweise auf Antigone, Romeo & Julia, Don Quijote (Kampf gegen Windmühlen) prägen das Buch, es werden aber auch wiederholt Gesetzestexte zum Thema Stehlen erwähnt. Des Weiteren rückt der Roman besonders das Bewusstsein für Geld in den Vordergrund, da er von sehr vielen Zahlen erfüllt ist. Der Junge rechnet immerzu wie viel Geld, wie viele Leben bedeutet. Als er auf dem Konto seines Vaters 2.250.646€ entdeckt, folgt sofort: “Das entspricht einem Tag Essen für 6.820.142 Kinder. Wie viele, die bald an Unterernährung sterben, könnten gerettet werden? 68.201.” Es gibt sogar ein Kapitel, in dem alle Sonderangebote eines Supermarkts aufgezählt werden und am Ende erfolgt die Zusammen- und Umrechnung in Kinderleben.
Auch beschäftigt sich die Hauptfigur vor allem mit Fragen um Gerechtigkeit, Recht und Gewissen und wendet sich an seine Eltern, seine Großmutter und den Pfarrer im Konfirmationsunterricht: “Darf man das? Von den Reichen nehmen? Wenn man es den Armen gibt und nicht für sich selbst behält?” (Zitat aus “33Cent um ein Leben zu retten”) Hierbei nimmt er sich besonders Robin Hood zu seinem Vorbild und ihn lässt die Frage nicht los, wer “der Sheriff” ist, also derjenige, der von den Armen nimmt. Ist es der Supermarkt, in dem er arbeitet? Sein Vater, der so viel Geld auf seinem Konto hat? Sind alle Menschen “der Sheriff”? Darf er deshalb von allen nehmen? Am Ende entscheidet er sich für die großen Einkaufsketten, in denen er Kleidung stiehlt. Ebenfalls Johannes der Täufer (“Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat.”) beeindruckt ihn. Es werden zugleich jedoch auch in religiöser Hinsicht Überlegungen geäußert: der Name eines Kapitels lautet: “Warum schweigen Gott und sein Sohn Jesus?” Darin lautet ein Absatz: “Wenn es nun Jesus gäbe und sie gemeinsam Gott wären, dann könnten sie ehrlich gesagt doch die ganze Geschichte in Ordnung bringen!” (Zitat aus “33 Cent um ein Leben zu retten”)
“Ein meisterhaftes Buch, das einem die Augen öffnet” schreibt “Politiken”, eine der größten Tageszeitungen Dänemarks. “Das wichtigste Buch des Jahres 2010” konstatiert “Berlingsike”, ebenfalls eine dänische Zeitung. Ganz ohne Frage: dieser Roman wird auch in Deutschland die Gemüter erhitzen und für Diskussionen sorgen! Vor allem das Ende der Geschichte erscheint seinem Leser wie ein Schlag ins Gesicht, den man erst einmal verdauen muss. Eine provokante wie betroffen machende Lektüre, die sich aufgrund des Diskussionsbedarfs hervorragend als Klassenlektüre oder für eine Buchvorstellung eignet.
Übersetzerin ist übrigens Sigrid Engeler, die auch schon den dänischen Skandalroman “Nichts: Was im Leben wichtig ist” von Janne Teller ins Deutsche übersetzte. Dieses eklatante Buch ist eine gute Alternative zu “33 Cent um ein Leben zu retten”. Ein Roman, der sich auch mit dem Themen Robin Hood und Gerechtigkeit auseinandersetzt, ist “Pretty clever” von Elsa Ludwig. Ebenfalls provokant geschrieben ist “Die Liga der Guten” von Rüdiger Bertram, in der die Hauptfigur sich nur noch für das Gute entscheiden möchte. Doch was ist gut und was ist böse? Klasse!
Bibliografische Angaben: Verlag: dtv ISBN: 978-3-423-62596-8 Erscheinungsdatum: 1.März 2015 Einbandart: Taschenbuch Preis: 7,95€ Seitenzahl: 192 Übersetzer: Sigrid Engeler Originaltitel: "2 kroner og 25 øre" Originalverlag: Gyldendal Dänisches Originalcover: Dänischer Trailer:
Kasimiras Bewertung:
(5 von 5 möglichen Punkten)
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