Ein richtig cooles Buch hat die amerikanische Autorin Erin Jade Lange geschrieben: “Halbe Helden”. Ein Roman über Freundschaft, Integration eines Jungen mit Down-Syndrom und der Suche nach dem Vater. Unterhaltsam, mit viel Humor erzählt und mit ein wenig Tiefgang. Ein ideales Buch für Wenig-Leser, Jungs und alle anderen Jugendlichen ab 14 Jahren. Jetzt neu als Taschenbuch erschienen.
Columbia, Missouri. Der 16-jährige Dane ist nicht gerade für seine sanfte Wesensart bekannt. In der Schule schreibt er zwar Bestnoten, musste aber schon x‑Mal nachsitzen, weil er sich mit anderen geprügelt hat. Seine Aggressionsschwelle liegt besonders niedrig und da kann ein falscher Blick, ein falsches Wort, eine noch falschere Geste schon mal darin enden, dass “ein Typ aus seinem Auto gezerrt wurde und eine Lektion in Sachen Straßenranddemut verpasst bekam” (Zitat aus “Halbe Helden”, S.7). Manchmal juckt es Dane einfach in den Fingern. Es ist ein Kribbeln, dass sich durch seine ganzen Hände zieht, bis in die Fingerspitzen hinein. “Der einzige Weg, es loszuwerden, war, die Hände zur Faust zu ballen und dieser Faust einen Landeplatz zu bieten.” (Zitat S.7). Bei seiner letzten Prügelei hat ihn jedoch ein seltsamer Junge beobachtet, der den Blick gar nicht abwenden konnte, von dem, was Dane tat und den er erst mit mehrmaligen Drohrufen davonscheuchen musste. Dieser Junge, der sich Billy D. nennt und das Down-Syndrom hat, ist neu in seine Straße eingezogen. Direkt gegenüber von dem Haus, in dem Dane und seine noch recht junge Mutter in eher ärmlichen Verhältnissen leben. Danes Mutter hat allerdings eine Glückssträhne in Sachen Rubbellose, jedoch — um das Abreißen dieser zu vermeiden — hängt sie die Gewinnerlose nur in Bilderrahmen an die Wand, ohne diese einzulösen. Das macht Dane manchmal ziemlich fertig, zumal er doch so gerne ein Auto hätte, wie andere Jugendliche in seinem Alter. Und jetzt muss er sich in der Schule und in seiner Freizeit auch noch ausgerechnet um Billy D. kümmern, um einer möglichen Suspendierung, die auf all seine Nachsitzerei wegen Prügelei folgen könnte, aus dem Weg zu gehen und seine Schulakte ein wenig aufzupolieren. Billy D., der ihm auf dem Weg zur Schule immer nachläuft, der ein wenig altklug und gleichzeitig naiv wirkt, der seine eigene Logik und auf alles eine Antwort hat und immer das letzte Wort behält. Der möchte, dass Dane ihm dabei hilft seinen Dad zu finden:
“Das ist ja wohl ein Witz, oder? Du würdest ernsthaft den Disziplinarrat anlügen und mich nachsitzen und vielleicht sogar von der Schule fliegen lassen, nur weil ich dir nicht so einen blöden, unmöglichen Gefallen tun will? […] Das ist Nötigung!”, rief ich schließlich. Billy sah mich ausdruckslos an. […] “Ich weiß nicht, was das heißt. Aber ich soll Mr Bel Bescheid sagen, wenn du mir nicht hilfst. Und wenn du mir nicht hilfst, kriegst du Ärger. Also musst du mir helfen.” So langsam fragte ich mich wirklich, ob unter dieser unschuldigen Miene nicht ein echtes Superschurkenhirn am Werk war. Ich wäre ja gern wütend gewesen, aber — verdammt noch mal — insgeheim war ich beeindruckt.” (Zitat S.52)
Also versucht Dane in einem Atlas, den Billy D.’s Dad ihm hinterlassen hat, Hinweise zu finden, die auf dessen Verbleib rückschließen lassen. Mit von der Partie ist Seely, ein junges Mädchen, die meistens auf ihrem Skateboard herumhängt und von der Dane irgendwie ganz angetan ist. Sie kennt sich super mit Autos aus und stellt eines zur Verfügung, um auf Spurensuche zu gehen. Unerwarteterweise schlägt Billy D. Dane vor, dass der seinen unbekannten Vater doch auch suchen könnte. Aber das will Dane eigentlich gar nicht… oder etwa doch?
“Halbe Helden” fällt schon durch sein außergewöhnliches Cover auf. Der Buchumschlag selbst sieht ein bisschen wie ein Karton aus, wobei man erst am Ende des Buches dahinter kommt, was dies mit der Geschichte zu tun hat. Trotzdem — interessante Aufmachung, vor allem der Titel ist sehr gut gewählt und passt “wie die Faust aufs Auge”;-) Der Roman ist durchgehend aus Danes Sicht erzählt und liefert jede Menge witzige Dialoge und viel Situationskomik. Wie zum Beispiel folgende Szene, als Dane merkt, dass er auf dem Schulweg von Billy D. verfolgt wird und ihn abschütteln will. Er rennt einfach los, verschafft sich einen Vorsprung, um sich zu verstecken und Billy D. dann zur Rede zu stellen. Dieser wollte eigentlich nur mit Dane zur Schule gehen, um sich in Sicherheit zu wiegen vor anderen Jugendlichen, die ihn ärgern: “Und du glaubst im Ernst, wenn du mir, ohne mich vorher zu fragen, hinterherrennst, dann erspart dir das Prügel?” “Na ja, jetzt nicht mehr.”, antwortete er. “Gut.” Ich drehte mich weg Richtung Straße. “Jetzt kann ich denen sagen, dass du Angst vor mir hast.” Ich wirbelte so schnell herum, dass ich über meine eigenen Füße stolperte und rückwärts auf den Bürgersteig wankte. “Wie bitte?” “Du bist doch eben vor mir weggerannt.” Er kam mir nach und stampfte den Tau von seinen Schuhen. “Alter, ich bin nicht vor dir weggerannt.” “Äh, doch, bist du wohl. Bist sogar noch über die Blumen gesprungen und alles.”” (Zitat S.20). Die Schlagfertigkeit, die Billy D. an den Tag legt, ist wirklich beeindruckend. Auch wie er mit seinem Handycap umgeht, zeigt seine Coolness: “Downsyndrom?” “Was denn sonst?”, erwiderte er, als redete er mit dem zurückgebliebensten Menschen der Welt. (Zitat S.20). Der Roman demonstriert allerdings auch wie oft Menschen wie Billy D. mit Vorurteilen und Stigmatisierung zu kämpfen haben. Sogar Dane, der sich seine beginnende Freundschaft zu Billy D. zunächst noch nicht eingestehen möchte, bemerkt dies und ärgert sich darüber. Aber er wird sich auch allmählich darüber im Klaren, dass Gewalt nicht immer eine Lösung ist und ein falscher Schlag manchmal einfach ein falscher Schlag ist. Das Ende ist anders als erwartet und doch passend, weil es realistisch ist. Dennoch hätte ich mir noch mehr Informationen über Billy D.s Ausgang der Geschichte gewünscht.
Wenn dir “Halbe Helden” gefallen hat, kannst du noch das erste Buch von Erin Jade Lange lesen, das mir sehr gut gefallen hat und ein außergewöhnliches Thema bietet: “Butter”. Ein wenig hat mich der hier rezensierte Roman auch an “Kill all enemies” von Melvin Burgess erinnert, in dem es ein Mädchen ist, das Probleme damit hat, sich nicht mit anderen anzulegen — eine Geschichte, in der Freundschaft genauso eine Rolle spielt. Dass Gewalt keine Lösung ist, erfährst du in “Evil” von Jan Guillou. Ein cooles Buch für Jungs ist auch “Der zweite Kopf des Richard Westlake” von Andy Mulligan. Und auf Spurensuche nach ihrem Vater geht ebenfalls die Hauptfigur in “Die Quersumme von Liebe” von Katrin Zipse.
Bibliografische Angaben: Verlag: Magellan ISBN: 978-3-7348-5400-2 Erscheinungsdatum: 13.Juli 2017 Einbandart: Taschenbuch Preis: 13,00€ Seitenzahl: 366 Übersetzer: Sandra Knuffinke Originaltitel: "Dead ends" Originalverlag: Bloomsbury Amerikanisches Originalcover: Amerikanischer Trailer:
Kasimiras Bewertung:
(4 von 5 möglichen Punkten)
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