“Zwischen zwei Fenstern” von der australischen Autorin Dianne Touchell ist ein kunstvoll gestaltetes Buch, welches Geheimnisse unter dem Schutzumschlag und im Buchinnendeckel verbirgt. Es erzählt von Liebe, Familie, Nähe und Distanz. Es ist schonungslos und anders. Besonders. Für Jugendliche ab 15 Jahren und Erwachsene.
Er nennt sie Maud, weil er ihren Namen nicht kennt. Sie nennt ihn Creepy, weil ihn alle so unheimlich finden. Er ist ein Außenseiter, versucht in der Schule nicht aufzufallen. Sie leidet an Trichotillomanie, das heißt, sie reißt sich ständig Haare aus. Am Kopf, an den Augen, in der Schamgegend. Maud und Creepy wohnen gegenüber voneinander. Er beobachtet sie oft durchs Fenster. Er hat sich in sie verliebt. Würde es aber nie wagen, ihr seine Liebe zu gestehen. Seine Eltern geben ihm ein schlechtes Beispiel eines Ehelebens vor, welches eher einem Rosenkrieg gleicht. Seine Mutter trinkt tagsüber ständig heimlich Alkohol. Sein Vater richtet den Hund ab, um ihm im Kampf gegen seine Frau als Waffe zu missbrauchen. Doch an dem Tag, an dem Creepy beobachtet, wie Mauds Vater dem Mädchen eine Ohrfeige verpasst, nimmt er das erste Mal mit einem geschrieben Schild Kontakt zu ihr auf. Und das verändert alles…
Schon der Beginn des Buches, als Ich-Erzähler Creepy über die beginnenden Streitereien seiner Eltern berichtet, wird einem als Leser klar, in dieser Familie wird sich nichts geschenkt: jemand hat dem Vater in die Aktentasche gepinkelt. Der Vater verdächtigt die Mutter, doch es war Creepy: “Er wollte mein Taschengeld nicht dem Markttrend und der Inflation anpassen, also revanchierte ich mich auf die Art, von der ich glaubte, dass er sie am besten verstehen würde.” (Zitat aus “Zwischen zwei Fenstern”). Aber auch Chiliöl in der Zahnpastatube oder ein Reifen, aus dem die Luft gelassen wurde, scheinen Alltäglichkeiten in dieser Familie zu sein. Sogar dass der Vater den Hund abgerichtet hat, der — wenn die Streitereien zu dramatisch werden — die Mutter anfällt und ihr “große, dunkle Blutergüsse” zufügt, ist Normalität. Das wirkt manchmal ein wenig überzogen, stellt Creepys Sicht die Dinge zu sehen, allerdings klar zur Schau. Seine Erzählweise ist teils sehr philosophisch, er beobachtet und kommentiert mit messerscharfer Ironie und macht sich in monologisierenden Kapiteln Gedanken über das Abhandenkommen der Liebe seiner Eltern; den Tod; die Religion, an der seine Mutter sich neben dem Alkohol festhält; den Hintern seines Vaters und vielerlei andere Dinge. Mit seiner Meinung ist er schonungslos und offen. Er denkt, was er denkt. Offenbart Wahrheiten und erkennt Zusammenhänge. Eingeleitet werden seine Kapitel durch Zitate berühmter Persönlichkeiten.
Mauds Sichtweise beginnt stets mit einem fünfsilbigen Ausdruck, weil sie diese am liebsten mag. Hinter dem Glas des Fensters zu sein, das bedeutet für sie Sicherheit. Distanz. Aber zugleich sehnt sie sich nach Nähe, die sie durch die Schein-Freundschaften, die sie in der Schule führt, nicht bekommt. Auseinandersetzungen mit ihrem Vater prägen ihren Alltag. Er nimmt ihr sogar ihre Malsachen weg. Auch muss sie eine Therapie machen und Fäustlinge tragen, damit sie sich nicht weiter die Haare herausreißt. Eine großflächige, kahle Stelle ziert bereits ihren Kopf. Das Verhältnis zur Nachbarsfamilie ist ebenfalls gestört und es kann schon mal vorkommen, dass die Väter einander mit Fäusten bekämpfen und eine “Romeo & Julia” — Atmosphäre entstehen lassen.
“Zwischen zwei Fenster” überzeugt nicht durch große Spannung, aber durch kluge Gedankengänge. Eine ruhige, weise und ebenso “haarsträubende” Geschichte. Die Geschichte einer Krankheit und die einer Freundschaft, hineingepresst zwischen zwei Buchdeckel, auf deren Innenseiten in schwarz-goldener Schrift ein Zitat/ eine Beschreibung von ihr und eine von ihm zu finden ist. Unter dem Schutzumschlag verbirgt sich vorne der Satz: “Ich bin nicht lebendig” (sie) und auf der Rückseite: “Doch bist du” (er). Eine wirkliche Annäherung über die Kommunikation “zwischen zwei Fenstern” hinaus, erfolgt erst gegen Ende des Buches. Das englische Cover (siehe unten) gefällt mir auch sehr gut!
Du magst besondere Bücher? Dann schau dir doch die anderen Titel des neuen “Königskinder”-Verlags an: “Zwillingssterne” von Cristina Moracho, “Die Anarchie der Buchstaben” von Kate de Goldi, “Anders” von Andreas Steinhöfel, “Wörter auf Papier” von Vince Vawter, “Ein Glück für immer” von Ruta Sepetys und “Löffelglück” von Tracey Holczer. Dir gefallen Romane über eine besondere Freundschaft? Dann lies doch mal “Das unsichtbare Mädchen” von Charis Cotter, “Das nachtblaue Kleid” von Karen Foxlee oder das tolle “Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte” von Chan Crystal. Eine Freundschaftsgeschichte mit psychischen Problemen gespickt, ist “Das Schweigen in meinem Kopf” von Kim Hood. Wenn du eine etwas heitere Familiengeschichte lesen möchtest, dann wäre auch “Vielleicht sogar wir alle” von Marie-Aude Murail etwas für dich.
Bibliografische Angaben: Verlag: Königskinder (Carlsen) ISBN: 978-3551-56004-9 Erscheinungsdatum: 21.November 2014 Einbandart: Hardcover Preis: 15,90€ Seitenzahl: 256 Übersetzer: Birgit Schmitz Originaltitel: "Creepy & Maud" Originalverlag: ReadHowYouWant Englisches Originalcover:
Kasimiras Bewertung:
(4 von 5 möglichen Punkten)
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