David Safier — 28 Tage lang

David Safier 28 Tage

5.September 2015

28 Tage lang” ist der neu als Taschen­buch erschie­ne­ne Roman des deut­schen Schrift­stel­ler David Safier. Wäh­rend er vor allem durch sei­ne eher komö­di­an­ti­sche Erzähl­art, wie zum Bei­spiel in “Mie­ses Kar­ma” oder “Jesus liebt mich” bekannt wur­de, wid­met er sich in sei­nem aktu­el­len Buch einem für ihn unge­wohnt erns­ten The­ma: er schil­dert das Leben eines jüdi­schen Mäd­chens im War­schau­er Ghet­to zur Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus. Authen­tisch. Bewe­gend. Und trotz aller Tra­gik sehr unter­halt­sam zu lesen. Gera­de für Jugend­li­che ab 14 Jah­ren, die viel­leicht noch nie etwas über die­ses The­ma gele­sen haben und sich dem annä­hern möch­ten, sowie für Erwach­se­ne.

War­schau. Im Jah­re 1943. Die 16-jäh­ri­ge Mira tut etwas Ver­bo­te­nes. Regel­mä­ßig. Und unter Ein­satz ihres Lebens. Sie schleicht sich heim­lich aus dem Ghet­to, in das sie und ihre jüdi­sche Fami­lie gesteckt wur­den und besorgt im pol­ni­schen Teil der Stadt Lebens­mit­tel, um ihre jün­ge­re Schwes­ter Han­nah und ihre depres­si­ve Mut­ter zu ver­sor­gen. Denn sonst wür­den sie ver­hun­gern. Ihr Vater, ein ehe­mals ange­se­he­ner Arzt, hat sich aus Ver­zweif­lung das Leben genom­men und Miras älte­rer Bru­der ist zur Juden­po­li­zei über­ge­wech­selt, die für beson­de­re Grau­sam­kei­ten bekannt ist. Wenn sie sich nicht um die rest­li­che Fami­lie küm­mern wür­de, wür­de es nie­mand tun. Vor allem ihre klei­ne Schwes­ter ver­sucht sie zu beschüt­zen. “Es gab kei­nen Men­schen auf der Erde, den ich so sehr lieb­te wie die­ses klei­ne zar­te Wesen. Han­nah war durch die schlech­te Ernäh­rung viel zu klein für ihre zwölf Jah­re und eigent­lich unschein­bar wie ein klei­ner Schat­ten, wären da nicht ihre Augen. Die waren so groß, so wach, so neu­gie­rig und hät­ten ver­dient, etwas ande­res zu sehen als den Alb­traum inner­halb der Mau­ern.” (Zitat aus “28 Tage” S.10). Doch bei ihrer letz­ten Schmug­gel­tour auf die ande­re Sei­te wird Mira fast erwischt. Von den “Hyä­nen”, wie sie die Men­schen bezeich­net, die Schmugg­ler an die Deut­schen ver­ra­ten, um eine Beloh­nung zu kas­sie­ren. Nur dem muti­gen Ein­satz eines jun­gen Man­nes hat Mira es über­ra­schen­der­wei­se zu ver­dan­ken, dass sie nicht erschos­sen wird. Er gibt sich als ihr pol­ni­scher Freund aus. “Der Jun­ge spür­te, wie ver­krampft ich war, und zog mich noch mehr zu sich her­an. Sein Griff war fest, sei­ne Arme kräf­ti­ger, als man es von so einem dün­nen Kerl hät­te ver­mu­ten kön­nen. Ich war immer noch nicht in der Lage zu reagie­ren. Vor lau­ter Angst und Über­ra­schung lag ich wie eine Schau­fens­ter­pup­pe in den Armen des Jun­gen. Um das zu über­spie­len, inten­si­vier­te der die Scha­ra­de noch: Mit einem Mal küss­te er mich. Er küss­te mich!” (Zitat S.20) Und obwohl Mira mit dem Gut­men­schen Dani­el, den sie schon seit Ewig­kei­ten kennt, zusam­men ist, kann sie nichts dage­gen tun, immer öfters an die­sen David Safier 28 Tage langUnbe­kann­ten, der ihr das Leben geret­tet hat, zu den­ken. Sie sieht ihn sogar uner­war­tet wie­der! Auf ihrer Sei­te der Mau­er. Mit­ten im Ghet­to. Und fin­det her­aus, dass Amos — wie er heißt — einer Wider­stands­be­we­gung gegen die Deut­schen ange­hört. Er behaup­tet sogar, dass man die Juden im Ghet­to in nächs­ter Zeit alle­samt töten wür­de. Das kann und will Mira sich nicht vor­stel­len. Amos über­treibt. Über­haupt scheint er eine Här­te und Ent­schlos­sen­heit an sich zu haben, die ihr gar nicht gefällt. Auch wenn sie etwas irgend­wie zu ihm hin­zieht. Doch dann wird dem Mäd­chen bewusst, dass Amos tat­säch­lich recht hat: “In die­sem Moment wur­de mir klar, dass ich für ihn [dem SS-Sol­dat] nur jemand war, der im Weg stand. Wir Juden stan­den den Deut­schen im Weg. […] Wir waren Bazil­len, die ver­nich­tet wer­den muss­ten. Nicht mehr wert. Weder Beach­tung. Noch Gefüh­le. Ganz gewiss nicht Gefüh­le. Nur Mühe. Läs­ti­ge Mühe. In die­sem Augen­blick, in dem ich in die gleich­gül­ti­gen, kal­ten Augen des SS-Man­nes blick­te, begriff ich end­gül­tig: Sie wol­len uns alle töten.” (Zitat S.132) Mira schließt sich dem Wider­stand an und sie muss sich ent­schei­den. Zwi­schen dem warm­her­zi­gen, loya­len Dani­el und dem drauf­gän­ge­ri­schen, risi­ko­be­rei­ten Amos… wem gehört ihr Herz? Und vor allem: wird sie den Holo­caust überleben?

David Safier 28 Tage langDavid Safier zieht den Leser schon auf den ers­ten Sei­ten in sei­nen Bann, als er Miras Flucht vor den “Hyä­nen” und Amos’ Ein­grei­fen schil­dert. Er gibt ihre Gefüh­le, Ängs­te und Sor­gen so rea­lis­tisch wie­der, dass man sich sofort ein­fin­den kann in eine Zeit, die vie­len heu­te so fern erscheint. Die Lebens­be­din­gun­gen in dem Ghet­to wer­den durch Miras Erle­ben greif­bar gemacht. Ver­gan­ge­ne Geschich­te wird wie­der leben­dig. Eine Geschich­te, die nicht in Ver­ges­sen­heit gera­ten möch­te und die auch den Leser unauf­hör­lich fragt: Was hät­test du getan? Was für ein Mensch wärst du in die­ser schreck­li­chen Zeit gewe­sen? Wie mensch­lich wärst du geblie­ben? David Safier nennt den Roman “ein Her­zens­pro­jekt”, zugleich ist er — auch wenn er par­al­lel in einer Aus­ga­be für Erwach­se­ne erschie­nen ist (sie­he Abbil­dung unten, abge­se­hen vom Cover kein Unter­schied) — sein ers­tes Jugend­buch. Auf der Home­page des Autoren erklärt er, der aus einer jüdi­schen Fami­lie stammt und des­sen Groß­el­tern bei­de in einem Ghet­to ums Leben kamen, sei­ne Absich­ten: “Die­ses Buch soll eine Brü­cke zwi­schen den Gene­ra­tio­nen schla­gen. Ich möch­te mit ihm auch Men­schen errei­chen, die nor­ma­ler­wei­se nicht ohne wei­te­res zu einem Roman über den Holo­caust grei­fen wür­den. Des­we­gen habe ich «28 Tage lang» mit den Mit­teln des Span­nungs­ro­mans geschrie­ben. Man soll es – trotz all des Fürch­ter­li­chen, das gesche­hen ist – ger­ne lesen.” Und genau das gelingt David Safier tadel­los. His­to­ri­sche Fak­ten kom­bi­niert mit der Geschich­te eines Über­le­bens und der einer Lie­be, David Safier 28 Tageder Autor weiß, wie man unter­hält. Auch baut er in den Roman neben der fik­ti­ven Per­son von Mira, aus deren Sicht das kom­plet­te Buch erzählt wird, reel­le Per­sön­lich­kei­ten ein, wie den Besit­zer des Wai­sen­hau­ses Janusz Kor­c­zak oder den ver­rück­ten Rubin­stein. In einem Nach­wort wird noch mehr auf die Authen­ti­zi­tät der Geschich­te ein­ge­gan­gen, denn Mira ist zwar eine erfun­de­ne Per­son, jedoch hat sie all die Erfah­run­gen gemacht, die jemand zu jener Zeit hat machen kön­nen. Außer­dem wird noch wei­ter­füh­ren­de Lite­ra­tur vorgeschlagen.
“28 Tage lang” eig­net sich bes­tens als Schul­lek­tü­re oder für eine Buch­vor­stel­lung! Jedoch muss man ganz klar sagen, dass der Roman kei­ne leich­te Kost ist, vor allem im letz­ten Teil der Geschich­te — den Tagen des kämp­fe­ri­schen Wider­stands, die zugleich Namens­ge­ber des Buches sind — sind sehr hef­tig zu lesen. Für zart Besai­te­te daher erst ab 15 Jah­ren zu empfehlen.

Wenn dich das Leben und Über­le­ben in dem War­schau­er Ghet­to inter­es­siert, kannst du fol­gen­de zwei Roma­ne lesen, die eben­so aus der Sicht eines Mäd­chens geschrie­ben sind: “Ein Stück Him­mel. Ein Stück Erde. Ein Stück Frem­de” von Jani­na David und “Sing, Luna, Sing: Ein Mäd­chen erlebt das War­schau­er Ghet­to” von Pau­le du Bochet. Sehr bewe­gend fand ich auch “Flü­gel aus Papier” von Mar­cin Szczy­gie­l­ski, in dem ein klei­ner Jun­ge von sei­nem Groß­va­ter aus dem Ghet­to geschmug­gelt wird (bereits ab 10 Jah­ren geeig­net).Lesealternativen Ein Autor, der als einer der letz­ten leben­den Zeit­zeu­gen des War­schau­er Ghet­tos gilt, ist Uri Orlev. Er hat einen Teil sei­ner Kind­heit in die­sem ver­brin­gen müs­sen, kam in ein Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger, eher er von den ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen befreit wur­de und hat vie­le Bücher zum The­ma Natio­nal­so­zia­lis­mus geschrie­ben. Direk­ten Bezug zum War­schau­er Ghet­to haben “Der Mann von der ande­ren Sei­te” (1990), “Die Blei­sol­da­ten” (1999) und “Lauf, Jun­ge lauf”  (2007). Wenn du mehr über die Per­son Janusz Kor­c­zak erfah­ren möch­test, kannst du fol­gen­de Jugend­bü­cher lesen: “Moj­sche und Rej­se­le” von Kari­jn Stof­fels (eine Hom­mage an Kor­c­zak und zugleich eine Lie­bes­ge­schich­te) und “Nicht mich will ich ret­ten!: Die Lebens­ge­schich­te des Janusz Kor­c­zak” von Moni­ka Pelz. Falls du noch die ande­ren Roma­ne von David Safier lesen willst, jen­seits der Holo­caust-The­ma­tik und alle mit humor­vol­lem Hin­ter­grund, dann greif zu: Mie­ses Kar­ma” (eines sei­ner bes­ten Bücher!), Jesus liebt mich” (wur­de auch ver­filmt),  “Plötz­lich Shake­speare”, “Hap­py Fami­ly” und “Muh”.

Bibliografische Angaben:
Schilder was wo wer wannVerlag: Rowohlt
ISBN: 978-3-499-21176-8
Erscheinungsdatum: 28.August 2015
Einbandart: Taschenbuch
Preis: 9,99€
Seitenzahl: 416
Übersetzer: -
Originaltitel: -
Originalverlag: -
Alternatives Cover (für Erwachsene):
 David Safier 28 Tage lang
Trailer zum Buch:
David Safier über sein Buch:

Kasimiras Bewertung:

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(5 von 5 mög­li­chen Punkten)

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