Christoffer Carlsson — Weißzeit

Christoffer Carlsson - Weißzeit20.Oktober 2017

Weiß­zeit” ist das ers­te Jugend­buch des schwe­di­schen Autoren Chris­toff­er Carls­son — ein noch recht jun­ger Autor, der für sei­ne Erwach­se­nen­kri­mis bereits eini­ge Prei­se erhal­ten hat. Der Thril­ler spielt in einem klei­nen Dorf in Schwe­den und erzählt die Geschich­te eines Ver­bre­chen, die Angst vor dem Ver­lust und das Erwach­sen­wer­den eines jun­gen Mäd­chens. Rau, ein­dring­lich und sehr direkt erzählt. Für rei­fe Jugend­li­che ab 15 Jah­ren und Erwachsene.

Var­vet. Die 16-jäh­ri­ge Vega lebt in einem klei­nen Dörf­chen in Schwe­den allein mit ihrer Mut­ter. Der Vater hat die Fami­lie ver­las­sen und ist bereits ver­stor­ben. Jakob, ihr drei Jah­re älte­rer Bru­der, ist auch aus­ge­zo­gen, weil er sich mit der Mut­ter zu oft gestrit­ten hat. Er wohnt in einer Wohn­wa­gen­sied­lung in einer Unter­kunft, die so nied­rig ist, dass er sich manch­mal den Kopf an der Decke anstößt. Doch jetzt ist Jakob seit kur­zem eben­falls ver­schwun­den“Die Poli­zei sucht mei­nen Bru­der. Außer mei­ner Mut­ter war er im Grun­de genom­men die ein­zi­ge Ver­bin­dung zu irgend­et­was von Bedeu­tung, die ich besaß, und ich wuss­te nicht, was ich tun soll­te, wie ich klar­kom­men soll­te, wenn sie ihn ein­kas­sie­ren wür­den.” (Zitat S.13) Wo ist Jakob hin? Vega macht sich auf die Suche nach ihm. Und sie erin­nert sich. An die nicht immer ganz lega­len Christoffer Carlsson - WeißzeitLie­fe­ran­ten­tou­ren durch das Dorf, zu denen er sie mit­ge­nom­men hat. Wenn Jakob den selbst gebrann­ten Schnaps sei­nes Onkels ver­tick­te oder auch mal ein (wahr­schein­lich geklau­tes) Möbel­stück irgend­wo abhol­te. Denn bei einer die­ser Lie­fer­tou­ren ist etwas ganz ande­res mit­ge­nom­men wor­den. Etwas, das vor­her mensch­lich war und dann auf ein­mal tot und vol­ler Blut. Und dann wird ein Mann aus dem Dorf vermisst…

Weiß­zeit” bril­liert mit einem wirk­lich wun­der­schö­nen Cover, das allein optisch schon ein ech­ter Hin­gu­cker ist. Da hat der deut­sche Dress­ler Ver­lag aus der Vor­la­ge rich­tig was her­aus­ge­holt! Selbst im Innen­ein­band setzt sich das Wald­mo­tiv fort. Ins raue, küh­le Schwe­den wird der Leser im Buch ent­führt, in ein Dorf, in dem vie­les vor­her­be­stimmt ist: “In Var­vet erbt man alles: sein Haus, sei­ne Art zu leben und sei­ne Loya­li­tä­ten. Man hat die Ver­gan­gen­heit im Blut, ob man will oder nicht.” (Zitat S.18) Dörf­li­che Kon­flik­te zwi­schen einzel­nen Fami­li­en wer­den da auch gleich auf die nächs­te Gene­ra­ti­on über­tra­gen. Und in der ent­fern­ten Schu­le, in die Vega geht, wird hin­ter her­vor­ge­hal­te­ner Hand über sie und ihre Mit­men­schen heim­lich Christoffer Carlsson - Weißzeitgespro­chen: “In ihren Augen waren wir die Kin­der der geschei­ter­ten Bau­ern und der ver­bit­ter­ten Kät­ner, der Schwarz­bren­ner und der Heh­ler.” (Zitat S.33). Vega selbst ist ein eher unge­wöhn­li­cher Cha­rak­ter, zu dem man lei­der nur schwer eine Bezie­hung auf­bau­en kann, da sie etwas unsym­pa­thisch und manch­mal leicht (gefühls-)kalt wirkt. Ein ver­un­si­cher­tes, aber gleich­zei­tig auch taf­fes Mäd­chen, geprägt von ihrer Außen­welt, die Whis­key trinkt, zu viel raucht und schon mal dar­an denkt, die Schrot­flin­te her­aus­zu­ho­len, wenn die Poli­zei anklopft. Auch ihre erwa­chen­de Sexua­li­tät wird in dem Roman sehr deut­lich beschrie­ben: “Das Ein­zi­ge, was ich wuss­te, war, dass ich nie zuvor gese­hen hat­te, wie zwei Men­schen Sex hat­ten, zumin­dest nicht in der Wirk­lich­keit, und dass irgend­et­was in mir geweckt wor­den war. Etwas, das sich nicht wie­der ein­schlä­fern ließ. […] Aber von die­sem Mor­gen an woll­te ich bestimm­te Jungs jedes Mal, wenn ich sie sah, anfas­sen. Woll­te füh­len, wie sie nach mir grif­fen. Es war schwer zu beschrei­ben.” (Zitat S.37) Sexua­li­tät wird in “Weiß­zeit” gene­rell sehr offen­kun­dig beschrie­ben: Es gibt Sze­nen, in denen von Selbst­befChristoffer Carlsson - Weißzeitrie­di­gung die Rede ist; Sze­nen, in denen Vega ihre eige­nen, ers­ten Erfah­run­gen mit dem ande­ren Geschlecht macht; aber auch Momen­te, in denen sie selbst sexu­ell beläs­tigt, belei­digt oder als “Schlam­pe” bezeich­net wird. Selbst die Mut­ter, die als Bedie­nung in einem Lokal arbei­tet und ihren Kör­per als Kapi­tal sieht ( “…leg­te sie eine Hand auf ihren Hin­tern und die ande­re auf eine ihrer Brüs­te und drück­te zu, lach­te und sag­te: “Die hier müs­sen gut zu sehen sein, denn die bezah­len unse­re Rech­nun­gen.” (Zitat S.17)), selbst die­se beob­ach­tet Vega uner­war­tet eines Nachts bei sexu­el­len Hand­lun­gen mit dem viel jün­ge­ren, bes­ten Freund von Jakob. Sprö­de, ein­deu­tig und ohne zu ver­schö­nern — so zeigt sich “Weiß­zeit”. Gleich­zei­tig aber auch wie­der sehr atmo­sphä­risch und kühl: “Das Gras stand hoch, und die Hal­me wur­den zu Wän­den und streck­ten ihre Spit­zen nach mir aus, als woll­ten sie mich berüh­ren. Der Mor­gen dehn­te sich, aber die Son­ne zeig­te sich nicht, statt­des­sen war der Him­mel weiß wie Milch und weit bis zu den Wol­ken.” (Zitat S.26) Die Geschich­te wird in rela­tiv kur­zen Kapi­teln durchge­hend aus Vegas Sicht in der Ich-Per­spek­ti­ve erzählt und besteht aus einem Geflecht aus Erin­neChristoffer Carlsson - Weißzeitrun­gen an ver­gan­ge­ne Erleb­nis­se mit ihrem Bru­der, ihrer eige­nen Ent­wick­lung und der Suche nach der Wahr­heit. Denn etwas weiß das jun­ge Mäd­chen, das zei­gen ver­ein­zel­te Andeu­tun­gen wie die­se: “Ich stand auf und ging rein, fest ent­schlos­sen, sie, wenn nötig, wei­ter anzu­lü­gen.” (Zitat S.13) Wenn auch schein­bar nicht alles. Die Wahr­heit darf man gemein­sam mit der Prot­ago­nis­tin her­aus­fin­den. Schritt für Schritt. Bis zum bit­te­ren Ende. Die Span­nungs­kur­ve ist nicht mäßig gezeich­net, aber das Ende liest sich dann doch recht dra­ma­tisch. Der Titel klingt toll, hat sich inhalt­lich für mich aller­dings nicht erschlossen.

Fazit: Eine Geschich­te, die anders ist und schonungslos.

Eine sehr gute Lese­al­ter­na­ti­ve zu “Weiß­zeit” ist “Und plötz­lich war der Wald so still” von Moa ErikssLesealternativenon Sand­berg, eben­falls einer schwe­di­schen Autoren, die über das Erwach­sen­wer­den erzählt ohne aus­zu­blen­den und in dem ein jun­ges Mäd­chen ver­schwun­den ist. Noch mehr schwe­di­sche Autoren ent­deckst du hier. Ein Ver­bre­chen in einem klei­nen Dorf, das fin­dest du auch in “Kein ein­zi­ges Wort” von Andre­as Jung­wirth und in “Ise­grim” von Ant­je Baben­der­erde. In letz­te­rem spielt der Wald eine gro­ße Rol­le, eben­so wie in “In einer Som­mer­nacht wie die­ser” von Tan­ja Heit­mann, die einen Mord­fall prä­sen­tiert, inklu­si­ve Lie­bes­ge­schich­te. Sehr viel Sexua­li­tät fin­dest du in “Turn me on” von nor­we­gi­schen Autorin Olaug Nils­sen.

Bibliografische Angaben:
Schilder was wo wer wannVerlag: Dressler
ISBN: 978-3-7915-0059-1
Erscheinungsdatum: 25.September
Einbandart: Hardcover
Preis: 14,99€
Seitenzahl: 224 
Übersetzer: Susanne Dahmann
Originaltitel: "Skapar Oktober är den kallaste månaden" 
Originalverlag: Gilla Böcker 

Schwedisches Originalcover:
Christoffer Carlsson - Weißzeit











Amerikanisches Cover: 
Christoffer Carlsson - Weißzeit








Kasimiras Bewertung:

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(3,5 von 5 mög­li­chen Punkten)

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Schwedisches Cover: Homepage von Gilla Böcker
Amerikanisches Cover: Homepage von Penguin Books

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