Die bekannte, deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin Antonia Michaelis hat 2013 ihren ersten Roman in einem belletristischen Verlag vorgelegt, der jetzt frisch als Taschenbuch erschienen ist: “Paradies für alle” beschäftigt sich mit Ungerechtigkeit, Vergänglichkeit und der außergewöhnlichen Vision eines Kindes: dem Wunsch nach einem Paradies. Ein unheimlich ergreifendes, philosophisches Buch, voller Atmosphäre und einer schönen, besonderen Sprache. Absoluter Lesetipp!! Für Erwachene und Jugendliche ab 16.
Der 9‑jährige David ist nach der Schule nicht nach Hause gekommen. Vielleicht ist er noch bei Freunden, vermutet seine Mutter Lovis, eine Künstlerin, die sich in letzter Zeit nicht allzu viel um ihn kümmern konnte, weil sie eine Ausstellung vorbereitet. Ihr Mann ist Arzt in einer Klinik und meistens erst spät zu Hause. Nachdem alle Freunde durchtelefoniert sind und auch die Polizei eingeschalten wurde, kommt spät abends plötzlich der Anruf: David liegt nach einem Frontalzusammenstoß mit einem Auto im Krankenhaus. Der Unfall ereignete sich jedoch auf der Autobahn! Was hat er dort gewollt? Jetzt liegt er mit schweren Verletzungen im Koma und niemand weiß, ob er jemals wieder aufwachen wird. Lovis beschließt herauszufinden, was in ihrem Sohn vor sich gegangen ist und findet eine geheimnisvolle Kladde unter Davids Bett. Darin sein Werkstattbericht über ein besonderes Projekt. Denn David war dabei ein Paradies zu schaffen. Lovis beschließt den Plan ihres Sohnes zu vollenden…
“Paradies für alle” wird komplett aus der Perspektive der Mutter erzählt. Hierbei spricht Lovis den Leser zwischenzeitlich auch direkt an, sie erzählt ihm ihre Geschichte. Die fein gezeichneten Charaktere sind hierbei ein besonderes Merkmal. David wird — obwohl man ihn nie “live” erlebt — durch die Schilderungen seiner Mutter und seinen eigenen Werkstattbericht lebendig: ein kleiner, hochintelligenter Junge, der sich selbst Latein und Japanisch beigebracht hat und zuweilen wissenschaftliche Texte liest. Mit großer Freude widmet er sich selbst ausgedachten Projekten und wirkt wie ein zerstreuter Professor mit der Vorliebe Fremdwörter zu verwenden, die er jedoch meistens miteinander verwechselt. In der Schule haben sie sich mit Weltreligionen beschäftigt und so macht sich David mit seiner Freundin Lotta, die ihn geradezu anhimmelt, Gedanken über das Paradies. Was gehört dazu? Wie macht man andere Menschen glücklich? Warum gibt es das Leid? Was ist das Böse? Und warum ist es manchmal so schwer zwischen Gut und Böse zu unterscheiden? Gibt es einen Gott? Diese philosophischen Grundüberlegungen gerade aus der naiven Sicht eines Kindes mitverfolgen zu können, macht den besonderen Reiz dieser Geschichte aus. Die Erlebnisse des Sohnes eröffnen sich der Mutter und dem Leser erst nach und nach. Denn David hat die mit Schreibmaschine getippten Abschnitte seines Berichtes auf unterschiedliche Weise verschlüsselt. Mit eingebunden sind kleine Zeichnungen und Fotos. Somit wechselt sich das Erleben der Mutter in der Jetzt-Zeit mit den vergangenen Geschehnissen des Sohnes ab. Lovis rekapituliert gleichzeitig die Beziehung zu ihrem Sohn, aber auch die zu ihrem Mann. Und sie muss sich eingestehen, dass da eine Mauer entstanden ist zwischen ihr und der Außenwelt. Nur die kleine Lotte, Davids treuste, aber sehr schweigsame Freundin, schafft es seltsamerweise diese zu überwinden. Die Sprache in “Paradies für alle” ist sehr klar und zugleich besonders intensiv. Antonia Michaelis erzeugt beim Schreiben eine besondere Atmosphäre, die den Leser an Gefühlen wie Traurigkeit, Ernüchterung, Hoffnung und dem Glauben an eine bessere Welt teilhaben lässt. Ein paradiesisches Buch! Eine Geschichte, die noch lange nachwirkt…
Dir gefällt dieses Buch? Von Antonia Michaelis gibt es noch den “Märchenerzähler”, der letztes Jahr von den Jugendlichen selbst für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde. Dieses Buch ist ebenso wie “Solange die Nachtigall singt” ab 15⁄16 zu empfehlen und für Erwachsene ebenso geeignet. Toll, aber noch nicht ganz so bekannt ist auch “Die Worte der weißen Königin”, ein Roman über Gewalt, eine besondere Freundschaft und die Macht der Wörter. Oder ihr neueste Werk “Niemand liebt November”.
Ein bezauberndes Buch über einen kleinen Jungen ist “Wunder” von Raquel J. Palacio (für Erwachsene und Jugendliche; Deutscher Jugendliteraturpreis 2014, gewählt von den Jugendlichen selbst!). “Wundervoll” geht es auch bei “Schwanenmädchen” von Lucy Christopher zu. Dir gefallen Romane, die ein wenig philosophisch sind? Dann lies das bekannte “Sophies Welt” von Jostein Gaarder oder “Minous Geschichte” von Mette Jakobsen. Oder religiös geprägt: “Theos Reise” von Catherine Clément. Ein sehr beeindruckendes Buch über ein Kind, das Gerechtigkeit üben will (ähnlich wie David) und dies voller Selbstlosigkeit tut, ist “33 Cent — um ein Leben zu retten” von Louis Jensen.
Mich persönlich hat die Zeichnung des Charakters und das gelungene Hineinversetzen in die Hauptfigur auch ein wenig an die Romane von Jodi Picoult erinnert, die sich ebenfalls mit stets außergewöhnlichen Themen zu befassen weiß.
Bibliografische Angaben: Verlag: Droemer Knaur ISBN: 978-3-426-21367-4 Erscheinungsdatum: 3.August 2015 Einbandart: Broschur Preis: 9,99€ Seitenzahl: 480 Übersetzer: - Originaltitel: "Paradies für alle" Originalverlag: Droemer Knaur Deutsches Originalcover: Trailer zum Buch:
Kasimiras Bewertung:
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